Dass Frauen und Männer unterschiedlich wählen, ist weder neu noch überraschend: In den meisten westlichen Demokratien präferieren Frauen heute Parteien links der Mitte, während Männer zu Parteien rechts der Mitte tendieren (siehe auch hier und hier). Weniger bekannt ist, dass der Gender-Voting-Gap früher ganz anders verlief. Bei der Nationalratswahl 1930 etwa kamen rund 58 Prozent der Stimmen für die Christlichsozialen von Frauen, hingegen nur 44 Prozent der NSDAP-Stimmen und 40 Prozent der KPÖ-Stimmen.

(Ganz nebenbei: Dieses Wissen kommt nicht aus Wahlumfragen, die wurden erst einige Jahre später von George Gallup erfunden. Vielmehr war es den politischen Parteien bei der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 ein Anliegen, Wahlbeteiligung und Parteipräferenz dieser neuen Wählergruppe genau zu beobachten, weshalb an Männer und Frauen verschiedenfarbige Stimmzettel ausgegeben wurden).

Was genau die Gründe für das unterschiedliche Wahlverhalten der Geschlechter sind, ist noch nicht eindeutig erforscht.
Foto: APA / dpa / Michael Kappeler

Seit den 1970er-Jahren hat sich das Wahlverhalten in Österreich dann in Richtung des "modernen" Gender-Gap bewegt. So auch bei der Nationalratswahl 2017: Gemäß Sora-Wahltagsbefragung wählten 40 Prozent der Frauen Parteien links der Mitte (SPÖ, Grüne, Liste Pilz), während es bei Männern nur 31 Prozent waren. Genau umgekehrt verhielt es sich bei ÖVP und FPÖ, die zusammen 62 Prozent der Männerstimmen erhielten, aber nur 52 Prozent der Frauenstimmen. Ähnliche Diskrepanzen gab es bei den meisten Nationalratswahlen seit 1990.

Was genau die Gründe für das unterschiedliche Wahlverhalten der Geschlechter sind, ist noch nicht eindeutig erforscht. Eine wichtige Rolle dürfte die unterschiedliche ökonomische Situation von Frauen und Männern spielen. Immerhin gibt es in puncto Arbeitsmarktintegration, Einkommen oder Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen große Geschlechterunterschiede.

Damit hängt vielleicht auch zusammen, dass der Gender-Voting-Gap hauptsächlich durch das unterschiedliche Wahlverhalten unverheirateter Männer und Frauen zustande kommt. Die Grafik unten zeigt anhand von Daten der Autnes-Nachwahlbefragung 2017 den Anteil der Wählerschaft in verschiedenen Gruppen, die linke Parteien (SPÖ, Liste Pilz, Grüne, KPÖ) gewählt haben (insgesamt erhielten diese Parteien 36 Prozent der Stimmen).

Insgesamt gaben 42 Prozent der Frauen ihre Stimmen an linke Parteien, aber nur 30 Prozent der Männer (damit ist der Gender-Gap in den Autnes-Daten sogar noch etwas größer als bei Sora). Weit größere Unterschiede aber tun sich auf, wenn man zwischen verheirateten und unverheirateten Personen differenziert. Unverheiratete Frauen wählten zu 52 Prozent linke Parteien, unverheiratete Männer nur zu 29 Prozent – ein massiver Gender-Gap von 23 Prozentpunkten. Unter verheirateten Personen liegt der Anteil linker Parteien hingegen nur bei 36 Prozent für Frauen und 30 Prozent für Männer – ein im Vergleich lapidarer Unterschied von sechs Prozentpunkten.

Anders herum betrachtet: Die Tendenz nach rechts ist für die Männer unabhängig vom Familienstand gleich stark ausgeprägt. Hingegen tendieren unverheiratete Frauen viel stärker nach links als verheiratete.

Wiewohl uns diese Daten helfen, den Gender-Gap im Wahlverhalten rein deskriptiv besser zu verstehen, werfen sie im Grunde mehr Fragen auf als sie Antworten geben: Woher kommen die Unterschiede zwischen Verheirateten und Unverheirateten? Wirken sich Eheschließung und Scheidung auf das Wahlverhalten aus? (Aus den USA gibt es dafür Evidenz.) Und wie werden sich geänderte Rollenbilder bei jüngeren Generationen im Gender-Voting-Gap niederschlagen? (Laurenz Ennser-Jedenastik, 7.8.2018)