Frage: Woran hat sich der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Kanada entzündet?

Antwort: Zu Beginn beschränkte sich der Schlagabtausch zwischen Riad und Ottawa auf Salven auf Twitter. Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland griff am Dienstag vergangener Woche eine Pressemeldung von Amnesty International über die Verhaftung von Samar Badawi (siehe Kopf des Tages) und anderen Frauenrechtlerinnen in Saudi-Arabien auf: "Kanada steht in diesen schwierigen Zeiten an der Seite der Familie Badawi."

Tags darauf sekundierte Freelands Ministerium: "Wir fordern die saudischen Behörden zu ihrer sofortigen Freilassung auf."

Saudi-Arabien reagierte mit einer Serie wütender Tweets: Kanada nehme eine "negative und überraschende Haltung" ein und mische sich "offen und unverhohlen" in interne Angelegenheiten ein.

Doch das Königreich beließ es nicht beim Krieg der Worte.

Frage: Und welche Auswirkungen hat er bisher gezeitigt?

Antwort: Binnen 48 Stunden überzog Saudi-Arabien Kanada mit einer für das Land beispiellosen Serie diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen. Der kanadische Botschafter werde zur "unerwünschten Person" erklärt, teilte das Außenministerium in Riad mit. Er habe 24 Stunden Zeit, um das Land zu verlassen. "Alle neuen Handels- und Investitionsgeschäfte mit Kanada" würden eingefroren, Direktflüge von Riad nach Toronto eingestellt, medizinische Behandlungen saudischer Bürger in Kanada untersagt, saudische Studenten, immerhin 15.000, von kanadischen Universitäten abgezogen.

Am Montag schließlich veröffentlichte ein regierungsnaher Twitter-Account eine Grafik, die einen Air-Canada-Jet auf Kollisionskurs mit dem CN Tower in Toronto zeigt. "Wer sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen, wird Dinge finden, die ihn nicht freuen", stand dort zu lesen. Die Fotomontage sei freilich keineswegs als Drohung zu verstehen, beeilte man sich in Riad zu betonen – und ließ den Tweet kurzerhand löschen.

Frage: Kann Saudi-Arabiens Boykott der kanadischen Wirtschaft ernsthaft schaden?

Antwort: Nicht wirklich. Der Handel zwischen den beiden Ländern war 2017 mit umgerechnet 2,6 Milliarden Euro ohnehin nicht besonders rege, laut Weltbank gingen 2016 gerade einmal 0,24 Prozent der kanadischen Exporte in das Königreich. Kanadas liberaler Premier Justin Trudeau hatte hingegen erst im März einen Waffendeal der konservativen Vorgängerregierung mit Saudi-Arabien aus dem Jahr 2014 bestätigt und gegen Kritik im eigenen Land verteidigt. Der Verkauf von mehr als 900 Panzerfahrzeugen an das Königreich stehe im Einklang mit Kanadas Außen- und Verteidigungspolitik, sagte er damals.

Die kanadische Außenministerin Freeland hält mit ihrer Meinung bezüglich Saudi-Arabien nicht hinter dem Berg.
Foto: AFP PHOTO / NICHOLAS KAMM

Frage: Ist der Name Badawi nicht schon einmal aufgetaucht in der Berichterstattung über Saudi-Arabien?

Antwort: Die 37-jährige Samar Badawi und ihr Bruder Raif – er sitzt wegen eines kritischen Blogs seit 2012 im Gefängnis und muss Peitschenhiebe fürchten – gehören tatsächlich zu den bekanntesten Dissidenten in Saudi-Arabien. Vor sechs Jahren wurde Samar in den USA der International Women of Courage Award zuteil, überreicht hatten ihr den Preis damals Hillary Clinton und Michelle Obama. Zurück in der Heimat, kämpfte sie weiter gegen die Unterdrückung der Frauen, Stichwort männliche Vormundschaft, Stichwort Autofahrverbot. Letzteres ließ Mohammed Bin Salman heuer aus dem Gesetzbuch streichen.

Samar Badawi muss einmal mehr hinter Gittern leben.

Frage: Warum mischt sich Kanada eigentlich ein?

Antwort: Einerseits definiert sich Kanada traditionell als Hort von Menschenrechten und Demokratie, der seine Stimme erhebt, wenn er diese in Gefahr sieht. Andererseits beherbergt Kanada Ensaf Haidar, die Ehefrau von Raif Badawi, und ihre drei Kinder, seit 1. Juli sind die vier kanadische Staatsbürger. Von Quebec aus setzt Haidar sich mit Unterstützung der Regierung für die Freilassung ihres Ehemannes ein.

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Ensaf Haidar, hier mit Porträt ihres inhaftieren Ehemannes, erhielt 2015 in Straßburg den Sacharow-Preis.
Foto: AP Photo/Christian Lutz, File

Frage: Und warum reagiert Saudi-Arabien so scharf?

Antwort: Die harschen Sanktionen erklären sich Experten mit dem Drang von Kronzprinz Mohammed Bin Salman, an Kanada ein Exempel zu statuieren und andere Länder so von Kritik an seinem Herrschaftsstil abzuhalten. Dass Saudi-Arabien überhaupt zum Druckmittel Sanktionen greift, deutet zudem darauf hin, dass das Land künftig eine noch bedeutendere Rolle in der internationalen Politik anstrebt. Sanktionen gehören nämlich nicht zum üblichen Arsenal eines Landes dieser Größe. Dass sich US-Präsident Donald Trump zuletzt abfällig über Kanada und Premier Trudeau geäußert hat, dürfte Mohammed Bin Salmans Furor zusätzlich Zund verliehen haben.

Reformer von eigenen Gnaden: Mohammed Bin Salman.
Foto: afp photo / saudi royal palace / bandar al-jaloud

Frage: Aber Kronprinz Mohammed bin Salman gilt doch als Reformer?

Antwort: Nur scheinbar. Seit er im Sommer vergangenen Jahres als Kronprinz zum faktischen starken Mann Saudi-Arabiens aufstieg, tat sich Mohammed Bin Salman tatsächlich durch einigen Reformeifer hervor. So erlaubte er Frauen, Autos zu fahren, und ließ Kinos eröffnen. Gleichzeitig zieht er jedoch drakonisch gegen jene Aktivisten aus der Zivilgesellschaft zu Felde, die den von ihm schließlich durchgesetzten Wandel zuvor gefordert hatten – so nun auch gegen Samar Badawi. Außenpolitisch setzt er ohnehin auf Härte, wie der desaströse Krieg im Jemen und der erfolglose Blockadeversuch gegen das kleine Katar vor Augen führen.

Frage: Wie reagiert die arabische Nachbarschaft?

Antwort: Ägypten, Jordanien und andere muslimische Staaten haben Riad ihre Unterstützung zugesichert. Allesamt verurteilen sie den kanadischen Kommentar zu Saudi-Arabien, wohl auch mit einem Blick auf ihre eigene Menschenrechtslage.

Frage: Und steht der Westen den Kanadiern nun bei?

Antwort: Na ja. Kanada hat Großbritannien und die Vereinigten Arabischen Emirate um Hilfe gebeten. Effektiv könnten wohl einzig die USA Riad zur Räson bringen. Bisher jedoch lässt Donald Trump seinen Nachbarn im Stich. Beide, also Saudi-Arabien und Kanada, seien Verbündete, ließ Washington wissen. (Florian Niederndorfer, 9.8.2018)