Die Frauenpolitik der Regierung? "Im Praxistest katastrophal", sagt Erna Dittelbach.

Foto: Heidi Seywald

Frauenkollektiv Rit-Clique (Hg.): "Zündende Funken: Wiener Feministinnen der 70er Jahre". 24,80 Euro / 366 Seiten. Löcker-Verlag, Wien 2018.

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Lena Jäger ist Projektleiterin des Frauenvolksbegehrens.

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Erna Dittelbach, Mitherausgeberin der "Zündenden Funken".

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Zwei Generationen, zwei unterschiedliche Formen des Aktivismus. Erna Dittelbach hat sich in den 1970er-Jahren mit anderen Frauen in der Aktion Unabhängiger Frauen (AUF) für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern engagiert. Lena Jäger tut das mit MitstreiterInnen für das Frauenvolksbegehren, das ab 1. Oktober unterschrieben werden kann. Dazwischen liegen vierzig Jahre. Zusammen blicken die beiden in die feministische Vergangenheit und Zukunft.

STANDARD: Frau Dittelbach, was war Ihr erster Gedanke, als Sie von einem neuen Frauenvolksbegehren erfuhren?

Dittelbach: Ich war sehr froh, dass junge Frauen das machen. Es wurde ja schon das erste Frauenvolksbegehren in einer unverantwortlichen Art von der Politik nicht aufgegriffen, obwohl es sehr viele unterschrieben haben. Nehmen wir das Beispiel Abtreibung, bei der sich über viele Jahre nichts verändert hat. Es gibt noch immer Bundesländer, von wo aus man weit fahren muss, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Das ist einfach ein Skandal. Die Forderungen des aktuellen Frauenvolksbegehrens nach weniger Barrieren für Abtreibungen oder nach kostenloser Verhütung sind sehr wichtig.

STANDARD: Frau Jäger, das Frauenvolksbegehren war sehr darum bemüht, verschiedenste Menschen ins Boot zu holen. Um beim Thema Abtreibung zu bleiben, wo das Frauenvolksbegehren einen kostenlosen Zugang fordert: Das ist bei feministischen Themen wie diesem doch sehr schwer, oder?

Jäger: Ja, aufgrund unserer Forderung zu Schwangerschaftsabbrüchen haben wir etwa keine bundesweite Unterstützung der katholischen Frauenbewegung, was ich sehr traurig finde. Die Forderung, wie sie jetzt drinnen ist, ist eine Kompromissforderung, ein Handreichen in Richtung konservativerer Kreise, denn wird fordern nicht, dass die Regelung zur Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch genommen wird – aber natürlich würde ich mir als Feministin wünschen, dass dieser Paragraf gestrichen wird.

STANDARD: Frau Dittelbach, Sie waren Teil der Aktion Unabhängiger Frauen (AUF), die im Jahr 1973 gegründet wurde und deren Geschichte die AUF-Frauen im Buch "Zündende Funken" erzählen. Haben Sie den Eindruck, die alten feministischen Kämpfe werden zunehmend vergessen?

Dittelbach: Uns war wichtig, dass wir mit unserem Buch eine geschichtliche Lücke füllen. Im kollektiven Gedächtnis der Menschen in Österreich kommt die Frauenbewegung nicht vor, weniger als '68, die Frauenbewegung hat aber mehr verändert. Ja, '68 hat auch viel verändert, aber das war eine Kulturveränderung. Die Frauenbewegung hat tatsächlich auch auf der gesetzlichen Ebene vieles bewirkt – die Mitwirkung bei der Veränderung des Familienrechts, bei der Abtreibung oder beim Schutz vor Gewalt. Wir haben uns damals getroffen, um über unser eigenes Leben zu reden. Das war damals in den Siebzigerjahren ganz wichtig neben den Gesprächen über politische Inhalte. Bei den Lesungen aus unserem Buch sagten viele Frauen, sie würden uns um diese Erfahrung beneiden, weil es damals so viel Zusammenhalt und Solidarität gegeben hat.

Jäger: Solidarität ist heute ganz schwierig. Als wir mit dem Frauenvolksbegehren angefangen haben, wurde uns von vielen Seiten vermittelt: Das haben wir vergessen, und jenes haben wir falsch gemacht. Das war schon sehr hart. Ich habe mir oft gedacht, macht doch mit, gemeinsam wird es bestimmt besser.

Dittelbach: Es ist schwierig, sich mit Gruppen und Bevölkerungsschichten zu treffen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören. Ganz schwierig, finde ich. Vielleicht ist auch die Art, wie wir über feministische Themen reden, nicht für alle Schichten passend. Der Film "Die göttliche Ordnung" über das Frauenwahlrecht in der Schweiz zeigt, dass sich dafür ganz "normale" Frauen engagiert haben, die nicht sehr politisch waren. Ich glaube, das ist die Achillesferse unserer Bewegung derzeit: Es ist schwierig, mit den anderen Frauen über strukturelle Ungerechtigkeiten ins Gespräch zu kommen. Sie sind in ihrer individuellen Privatheit wie hinter einer Glaswand.

Jäger: Als Historikerin würde ich sagen, dass sich damals die Frauen klar für etwas zusammengefunden haben. Dafür, dass die Frauen weiterkommen. Damals stand nicht zur Debatte, dass Frauen und Männer ungleich behandelt werden. Heute müssen wir erst einmal wieder erklären, dass es so ist. Wir alle spüren die gläserne Decke, obwohl mittlerweile mehr Frauen erfolgreich ein Studium abschließen – trotzdem kommen sie auf den Führungsebenen nicht an. Und nein, wir lassen uns nicht mehr den Mythos erzählen "Wenn du nur möchtest, kannst du es auch schaffen".

Dittelbach: Bei der Arbeit an unserem Buch haben mich die Materialien von damals über die Aufteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit aus den Schuhen geschmissen. Das hat sich bis heute nicht verändert. Die unbezahlt geleistete Arbeit der Frauen kommt in der Diskussion über den Zwölfstundentag praktisch nicht vor. Dieses Verschweigen von Fakten, das ist nicht zu fassen. Es ist noch immer die Tochter, die die Eltern oder Schwiegereltern versorgt, auch wenn ihr die Zunge bis zum Knie hängt. Es bleibt ja nichts anderes über bei den herrschenden Strukturen. Es gehört einfach zu einem guten Leben, dass beide Eltern für die Kinder da sein können und der Vater seine Rolle einnimmt, dass die Hausarbeit beiden ein Anliegen ist.

Jäger: Den Männern geht etwas ab, wenn sie diese Care-Arbeit an ihren Eltern, an ihren Großeltern, ihren Tanten nicht leisten. Und natürlich auch, wenn sie sich nicht um ihre Kinder kümmern. Deshalb ist die Arbeitszeitverkürzung als Zukunftsmodell auch so spannend. Es ermöglicht Gleichberechtigung, weil mehr Zeit für diese sozialen Auseinandersetzungen da ist. Ich denke, solange der Machtkampf um eine immer weiter verknappende Ressource, nämlich die Ressource Lohnarbeit, so stattfindet, sind die Frauen wettbewerbsbenachteiligt.

STANDARD: Stichwort Wettbewerb, der immer wieder genannt wird, um gegen eine Arbeitszeitverkürzung zu argumentieren. Dem Standort würde schon eine 35-Stunden-Woche extrem schaden.

Dittelbach: Wenn die Marktwirtschaft und das Wirtschaftswachstum die zwei Kriterien sind, die zählen, und alles andere nicht – dann ist das so. Aber diese Modelle haben mit dem tatsächlichen Leben nichts zu tun. Ohne die unbezahlte Arbeit der Frauen im Alltag könnte dieses Wirtschaftssystem gar nicht existieren.

STANDARD: Viele wollen zum Beispiel ihre Kinder nicht unter zwei oder drei Jahren in die Krippe geben.

Jäger: Was mich am allermeisten aus meiner Sichtweise als Pädagogin in Österreich ärgert, ist, dass man offenbar glaubt, dass Frauen mit einer Geburt allumfassendes Wissen über Kinder eingepflanzt bekommen. Dadurch wird dieser Berufsstand bagatellisiert. Wir haben da was gelernt im Studium, wir sind Profis. Kinder haben keinen Nachteil, wenn sie, sagen wir, ab 13 Monaten, von PädagogInnen miterzogen werden, ich behaupte, sie haben einen signifikanten Vorteil. Das sage ich nicht als Feministin, sondern in erster Linie als Pädagogin: Ich wünsche mir für alle Kinder eine möglichst gute Förderung. Den Satz vieler Mütter "Du musst doch schon zugeben, es ist schwierig, diese Kleinen abzugeben" kann ich wirklich nicht nachvollziehen.

Dittelbach: Ich kann das teilweise schon nachvollziehen. Ich wohne in einem Wohnprojekt, und wir haben 67 Erwachsene und 34 Kinder, vor 14 Tagen ist das letzte geboren worden. Die Kinder wuseln da bei uns im Wohnprojekt herum, man kann ihnen beim Wachsen zuschauen, und das ist sehr nett. Sie gehen alle in den Kindergarten, aber manche eben erst mit zweieinhalb Jahren. Also auch bei uns ist das alte Familienmodell noch aktiv. Wenn man genug Zeit hätte und sich mit anderen Müttern und mit anderen Vätern verbündet, dann würde es auch besser und anders funktionieren. Doch die alten Rollenbilder verkleben die Augen der Frauen. Sie arbeiten Teilzeit und werden später eine Pension unter dem Existenzminimum kriegen.

Jäger: Genau. Da hat man die nächste Gruppe, die auf den Sozialstaat angewiesen ist. Diese Frauen haben ihr Leben lang viel gearbeitet – zu Hause und im Beruf – und müssen dann knapsen, damit sich das Leben ausgeht. Wir haben ja ganz viel, gerade mit Liberalen, diskutiert, warum die Arbeitszeitverkürzung eine feministische Forderung sein soll. Es gibt kein generelles Problem mit dem Zwölfstundentag, es ist ja nicht so, dass eine 30-Stunden-Woche das verbieten würde. Aber eine Arbeitszeitverkürzung auf, sagen wir, 30 Stunden, muss das Vollzeitäquivalent sein. Das würde alle Teilzeitverhältnisse, die wir momentan real haben – und 48 Prozent der Frauen arbeiten in diesen Teilzeitverhältnissen –, aufwerten. Das wäre eine politische Maßnahme, die dem Pension-Pay-Gap, der noch viel schlimmer werden wird, als er jetzt schon ist, entgegenwirken.

STANDARD: Frau Dittelbach, wenn Sie sich junge Frauen und Männer ansehen, gibt es etwas, womit sie mit viel mehr Selbstverständnis umgehen als Sie damals?

Dittelbach: Wenn ich in der U-Bahn Jugendliche sehe, die sichtlich Zugang zu mehr Bildung haben, dann erkenne ich an ihrem Aussehen oft nicht, ob es ein Bub oder ein Mädchen ist. Da haben sich die Rollen ziemlich stark atomisiert, zumindest was das Äußere, den Haarschnitt, das Auftreten in der Öffentlichkeit anlangt. Da ist sehr viel für Mädchen möglich geworden – auch für Buben. Für Jugendliche, die aus weniger bildungsnahen Schichten sind, sind die alten Rollenbilder immer noch sehr stark. Ich erlebe zwar ein starkes Selbstbewusstsein von jungen Frauen, die sagen "Ich will das machen, und dann mache ich es", aber ich erlebe dann auch einen Knick. Wenn eine Familie gegründet wird, wenn das erste Kind kommt, wirken die traditionelleren Rollen noch immer. Und mit den Alphamädchen, den Karrierefrauen, kann ich gar nichts anfangen, die alles unter einen Hut bringen mit links. Das ist eine Schimäre und keine wirkliche Veränderung. Es hat sich aber schon etwas verändert, aber die Frage ist: Hält das an? Wie sehr hält das gegen Angriffe stand? Und es kommen Angriffe.

Jäger: Ich erkenne einen Backlash. In meiner Kindheit bin ich streng feministisch erzogen worden, und nicht nur in meinem Elternhaus, sondern insgesamt war damals ein feministischer Aufbruch zu spüren. Burschen und Mädels haben mit den gleichen Legosteinen und dem gleichen Playmobil gespielt. Wir hatten die Kinderbücher von Adela Turin, die heute kaum noch jemand kennt. Heute werden stattdessen wieder vermehrt Stereotype reproduziert. Ich glaube, weil die Menschen Sicherheit suchen in dieser entgrenzen Welt.

STANDARD: Was meinen Sie mit Entgrenzung?

Jäger: Es geht den Menschen ja nicht gut heute. Leistung und Selbstoptimierung werden immer wichtiger. Es reicht ja für mich als Frau auch nicht mehr, "nur" Karriere gemacht zu haben.

STANDARD: Stichwort Leistung. Kann es einen wirtschaftsliberalen Feminismus geben?

Dittelbach: Es kann einen wirtschaftsliberalen Feminismus geben, wenn es um Fragen des gleichen Zugangs geht. Diese Idee kann es natürlich geben, aber sie muss durch die Praxis geprüft werden. Wir müssten dann die Leute fragen: Wie lebt ihr? Wie teilt ihr euch die Arbeit auf? Wer versorgt die Kinder? Ist es denkbar, dass ihr euch Auszeiten nehmt?

STANDARD: Frau Jäger, wo ist für Sie die Grenze? Wo ist ein Feminismus, die sich als solcher ausgibt, keiner mehr?

Jäger: Wir definieren Feminismus nach Johanna Dohnal: Sein Ziel muss eine menschliche Zukunft ohne Rollenzwänge, Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündeleien und Weiblichkeitswahn sein, Punkt. Politische Forderungen, die sich feministisch nennen, müssen dem standhalten, und ob sich durch alle Gesellschaftsschichten hindurch ihre Wirkung zeigen kann. Aber so divers Frauenleben auch ist, eine Sache haben wir gemeinsam: Alle werden, egal, wo sie stehen, in der Gesellschaft aufgrund des Merkmals Frau definiert.

STANDARD: Was sagen Sie zur Frauenpolitik der aktuellen Bundesregierung?

Dittelbach: Im Praxistest ist sie katastrophal. Dazu gehören für mich die Reduzierungen und Komplettstreichungen der Unterstützungen für Frauenorganisationen und -Initiativen. Und über diesen Zwölfstundentag müssen wir gar nicht reden, das ist ein massiver Angriff. Ich will niemandem zu nahe treten, aber die Ministerinnen dieser Bundesregierung mussten sich über bestimmte Dinge offenbar nie Sorgen machen.

Jäger: Letztendlich ist die Politik, die diese Regierung macht, vor allem eins: konsequent. Sie machen genau das, was sie ins Regierungsprogramm geschrieben haben, sie zeigen, wo die Unterschiede zwischen Männern und Frauen liegen, und sie stellen die Weichen auch wieder so, dass die Unterschiede viel stärker werden, auch die Strukturunterschiede. Ich finde auch, dass alle Frauen in der ÖVP-Regierung danach ausgesucht wurden, dass das leicht durchsetzbar ist. Da muss ich sagen, da vermisse ich eine Dorothea Schittenhelm oder auch eine Maria Rauch-Kallat. Natürlich sind wir politisch nicht auf einer Ebene, aber über Feminismus konnte man mit ihnen auf jeden Fall reden. (Beate Hausbichler, 19.8.2018)