Ein Hosenanzug über einer Bluse ist Mireille Ngossos Uniform in der Bezirksvorstehung. In ihrem zweiten Arbeitsleben wählt sie einen weißen Kittel und ein Stethoskop.

Foto: Andy Urban

"Winnie Mandela", lautet die etwas zögerliche Antwort, wenn man Mireille Ngosso nach einem politischen Vorbild fragt. "Es wird oft vergessen, was sie alles getan hat, während Nelson Mandela auf Robben Island inhaftiert war. Man erinnert sich nur an ihren Mann." Dabei war Winnie die weitaus Radikalere des Paares, das sich für das Ende der Apartheid in Südafrika eingesetzt hat. "Oft muss man das als Frau auch sein", befindet die SPÖ-Politikerin und ist gleichzeitig darauf bedacht, sich von den Gewaltaufrufen Winnie Mandelas zu distanzieren und ein zweites Beispiel anzuführen: die britische Politikerin Joanne Cox.

Keine Radikale

Ngosso selbst wird nie als radikal beschrieben. Ambitioniert, aber auch karriereorientiert: Worte, die bei den Roten für sie gefunden werden. Die 37-Jährige wisse, was sie wolle und wie sie dorthin komme. "Das muss sie auch, wenn sie in der Partei etwas werden will", hört man über die Afroösterreicherin in SPÖ-Kreisen. Ngosso könne netzwerken und habe sich den taktisch richtigen Bezirk sowie das strategisch richtige Umfeld ausgesucht. Zu ihren Förderern zählt Georg Niedermühlbichler, Chef der SPÖ in der Inneren Stadt. Er sagt Ngosso ein "sehr bestimmtes Auftreten" nach. Sie lasse sich "nicht einfach abspeisen", egal von wem, und habe "den Drive, den eine Politikerin braucht".

Seit 2010 engagiert sich Ngosso in der Sozialdemokratie, 2015 wurde sie Bezirksrätin der Inneren Stadt. Seit Juni ist sie stellvertretende Bezirksvorsteherin. Als ihre Vorgängerin Daniela Ecker-Stepp (SPÖ) den Rückzug aus der Bezirkspolitik bekanntgab, sei für Niedermühlbichler klar gewesen, dass es eine junge Frau an der Bezirksspitze brauche.

Aufs Äußere reduziert

In Ngossos Büro im ersten Stock des Alten Rathauses in der Wipplingerstraße läuft der Ventilator auf Hochtouren. Der Kristallluster an der Decke klimpert leise. Auf dem Schreibtisch türmen sich einige Aktenordner. Ngosso sitzt an dem ovalen Besprechungstisch mit Platz für etwa sechs Personen. Ihre dunklen Locken sind geglättet und wellen sich leicht über die Schultern. Trotz der Hitze trägt Ngosso einen zartblauen Hosenanzug über der blauen Bluse. "Frauen werden oft aufs Äußere reduziert. Es geht dann nicht darum, wofür man arbeitet, sondern wie man aussieht und was man einkauft", kritisiert sie. "Darum ist es wichtig, dass wir Frauen zusammenhalten und uns wehren."

Als im April Ngossos Aufstieg im Bezirk publik wurde, schlugen ihr auch Rassismus und Hass entgegen. Sie entschied, keine Postings zu lesen, und riet dies auch ihrer Familie. "Dass es im Jahr 2018 in Österreich noch immer Rassismus gibt, ist nicht angenehm", sagt Ngosso schlicht. Als sie den Job angenommen habe, habe sie gewusst, "dass es auch Menschen geben wird, denen das nicht gefällt". Doch: "Ich würde es wieder tun. Es ist wichtig, dass es uns gibt, wir sind Teil dieser Gesellschaft." Wenn Ngosso "wir" sagt, zählt sie ihre Parteikolleginnen auf: Auch Ex-Staatssekretärin Muna Duzdar und Saya Ahmad erfuhren Diskriminierung. "Oft weiß ich nicht, ob es Rassismus ist oder eine Attacke, weil ich eine Frau bin", sagt Ngosso.

Vielfalt der Gesellschaft

Ahmad hat Ngosso vor rund zehn Jahren in der Jungen Generation der SPÖ kennengelernt. Auf Ngossos Instagram-Account finden sich viele gemeinsame Selfies. Auch die gebürtige Irakerin ist gerade eben in der Hierarchie aufgestiegen: Sei Juli ist sie Bezirksvorsteherin in Wien-Alsergrund. "Sie arbeitet sehr hart, um den Bezirk mitzugestalten und das Leben von Menschen positiv zu beeinflussen", sagt Ahmad über ihre Freundin. Dass bei beiden Frauen der Migrationshintergrund im Vordergrund steht, führt Ahmad auf den "Newswert" zurück: Es sei wichtig, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt auf politischer Ebene widerspiegle. "Ziel ist es jedoch, dass es irgendwann keine Rolle mehr spielt, wie wir aussehen und wie wir heißen."

Wenn Ngosso spricht, dann bedacht. Sie überlegt genau, was sie sagt und wie sie es tut. Sie hat Notizen, von Dingen, die sie nicht zu sagen vergessen will: Den ersten Bezirk wieder zum Wohnbezirk zu machen steht ganz oben auf ihrer Agenda. Leistbares Wohnen in der City durch Abschaffung des Lagezuschusses und Beschränkung von Airbnb-Vermietungen auf 60 Tage im Jahr. Ein Mehr an Kassenärzten brauche es in der Stadt, aber auch zusätzliches Grün im Bezirk und bessere Öffi-Anbindungen. Das U-Bahn-Netz funktioniere gut im Ersten, doch die Citybusse könnte man perfektionieren. Die Busse sollen auch die Bezirke außerhalb des Rings anbinden.

Meidlinger Heimat

"Ich gebe mir Mühe, Hochdeutsch zu sprechen", gibt sie zu. Ist das Aufnahmegerät ausgeschaltet und die 37-Jährige entspannter, passiert das, worüber sich ihre Schwester ab und an lustig macht. Ngosso kann ihre Meidlinger Herkunft nicht ganz verbergen. Sie zieht das E lang, spricht es als Ä aus oder presst beim L die Zunge etwas gegen ihre Vorderzähne. "Das Wienerische habe ich in Meidling gelernt. Fendrich, Ambros, Austria gegen Rapid kenne ich vom Grätzel."

Guter Ruf

Vom Zwölften unterscheidet sich der Erste stark: "Es ist eine ganz andere Bevölkerung." Dort habe sie sich einen "guten Ruf bei allen Fraktionen erworben", sagt der Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, Markus Figl (ÖVP): "Wir haben ein gutes politisches Klima im Bezirk." Kooperativ, freundlich, höflich: Das sind die Adjektive, die Figl für seine Vize findet. Ob Ngosso kompromissbereit ist oder doch eine Hardlinerin der SPÖ? "Inhaltlich streitet man natürlich manchmal, wir sind keine Einheitspartei, aber dann finden wir eine gemeinsame Lösung", sagt Figl. Ngosso "trennt die Arbeit im Bezirk und der Partei".

Das Rote fließt Ngosso seit der Kindheit durch die Adern, wie sie betont. 1980 wurde sie in Zaire – heute Demokratische Republik Kongo – geboren. Im Alter von drei Jahren flüchtete sie mit ihrer Familie aus ihrem Geburtsland vor der Diktatur unter Mobutu Sese Seko, ihr Vater war selbst Sozialist. An die Flucht erinnert sich Ngosso heute nicht mehr. "Es ist wie ausgelöscht", sagt sie. Ihre Erinnerungen beginnen in Wien. Etwa als sie ihre Mutter nach der Ankunft in einen Hauseingang gezogen hat, um sie vor dem Schnee zu schützen. Aber auch der erste Mai am Rathausplatz und Hausbesuche für die SPÖ prägten die Kindheit.

Viel Unterstützung

Sie hätten damals viel Unterstützung bekommen: von der Partei, aber auch von der Kirche, betont Ngosso. Sich selbst bezeichnet die Bezirkspolitikerin als sehr gläubig – römisch-katholisch. Dass Religion und Sozialismus oft in einem Spannungsverhältnis stehen, ist ihr bewusst, sagt sie mit einem Schulterzucken. Die Grundwerte der Sozialdemokratie finde sie in der Religion wieder.

Nach der Kindheit kam im Gymnasium der Knatsch: "Ich dachte, ich schaffe es nicht. Ich hatte viele furchtbare Lehrer", erinnert sie sich an ihren Schulabbruch. Sie jobbte, spielte Klavier und Gitarre, plante eine Karriere als Jazzsängerin, verehrte Nina Simone, suchte und fand sich. Ngosso machte die Matura in der Abendschule und entschied sich für das Medizinstudium. Ihre Taufpatin, die sie liebevoll "Omi" nennt, war Kinderärztin, habe sie oft in die Praxis mitgenommen. Heute arbeitet Ngosso neben der Bezirksvertretung auch im Spital Hietzing. Zwei Jobs und ein 20 Monate alter Sohn bräuchten "gutes Zeitmanagement", sagt sie recht entspannt. (Oona Kroisleitner, 11.8.2018)