Barockes Bild einer freizügigen Idylle: In seiner Neuinszenierung lässt Regisseur Jan Lauwers Tänzer gern zu kollektiven Skulpturen werden.

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Noch ein paar Eindrücke von der Inszenierung. Hier zu sehen: Sonya Yoncheva (Poppea, links) und Kate Lindsey (Nerone).

Foto: APA/BARBARA GINDL

Sonya Yoncheva (Poppea, re.) mit einem Ensemblemitglied.

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Kate Lindsey (Nerone, li.) und Ana Quintans (Virtù/ Drusilla),

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Bevor sich der italienische Tonsetzer von seiner barocken Welt verabschiedet, komponiert Claudio Monteverdi (1567–1643) also mit L'incoronazione di Poppea noch ein letztes Meisterstück. Den melancholisch-ariosen Vokalzauber übergibt er dabei an Figuren, deren Empathie sich grauenvoll narzisstisch auf das eigene triebhafte Fortkommen fokussiert.

Nein, Rom brennt zwar nicht. Und auch von späteren Schrecklichkeiten rund um den römischen Kaiser Nero ist nichts zu hören: Dass der Lyraspieler jenes Kind, das Poppea in sich trug, mit einem Fußtritt beseitigt hat – und damit gleich auch seine Gattin –, ist nur mitzudenken bei der vertonten Liebesgeschichte.

Bei aller Musikzartheit taucht Innovator Monteverdi dennoch shakespearehaft in die Abgründe der unmenschlichen Natur. Erzählend seziert er die Architektur einer kalten, irren Despotie. Unzweideutig liefert er – trotz Happy Ends – die Erkenntnis, wie hauchdünn das Eis der Zivilisation ist, welch Kriegsland die unkontrollierte Seele sein kann.

Erotische Körperrhetorik

Erweckt werden also Sehnsüchte und Ängste eines Monsters, dessen Handlungen auch zahllose anonyme Opfer produzieren. Regisseur Jan Lauwers lässt daran natürlich keinen Zweifel. Die verliebten Grauenvollen, Nerone und Poppea, lässt er auf einer Schräge über ein Fresko mit Menschenkörpern turteln. Sie leben ihr Begehren in eindeutigen Stellungen aus, allerdings auf den Knochen ihrer Opfer. Poppea strebt mit erotischer Körperrhetorik den Thron an. Nerone will seine Frau Ottavia (furios im Dramatischen Stéphanie d'Oustrac) beseitigen, um für die Favoritin Komfort zu schaffen.

Da ist aber auch Poppeas gekränkter Geliebter Ottone (solid Carlo Vistoli), der sich rächen will. Mordpläne überall. Da kann Philosoph Seneca (nobler Klang Renato Dolcini) noch so sehr an Vernunft und Tugend appellieren. Dem moralischen Störenfried bleibt nur Selbstmord. Wobei der Suizid für den Stoiker zum konsequenten letzten Akt in Richtung Freiheit und Integrität wird.

Auf der Bühne des Hauses für Mozart tut sich währenddessen unablässig etwas. Intendiert scheint eine Art Gegenüberstellung von Opernkonvention und deren exzessiver Tanzdeutung: Es verbeißt sich zwar Nerone in Poppes Schenkel, wie er auch gern mit ihr über die edle Form ihrer Brüste diskutiert. Und Heiterkeit entsteht, wenn Poppeas Zofe Arnalta (grandios Dominique Visse) und Nutrce (Marcel Beekman) monologisieren.

Recht viel Opernalltag

Im Grunde lässt Lauwers die Sänger jedoch alltäglichen Opernminimalismus zelebrieren. Die Körpersprache ihrer Emotionen findet sich gewissermaßen auf die Needcompany-Solotänzerin Sarah Lutz übertragen wie auch auf die Tänzer und Tänzerinnen des Bodhi Projekt und der Salzburg Experimental Academy of Dance SEAD). Das Kollektiv drückt Figurenleid und Sehnsucht unmittelbar und opulent aus und kommentiert die Geschehnisse in aufreibenden Szenen. Die Tänzer wirken wie Erweiterungen der Sänger, wie deren Avatare.

Innerhalb dieser dynamischen Gesamtinstallation wird auf einer kleinen Plattform eine endlose Solonummer absolviert: Unablässig dreht sich ein Körper um die eigene Achse, bis er erschöpft abgelöst wird. Eine Art Uhr der endlosen Qual ergibt das, über der ein Kronleuchter wie ein Jojo schwingt. So entsteht ein Theater simultaner Handlungen, eine szenische Fuge der Grenzsituationen, in der sich Götter als Kriegsversehrte auf Krücken hereinschleppen.

Vitaler Klangrahmen

Am Beginn stand eine Livefilmsequenz mit Einblicken in den Backstagebereich, wo Poppea und Nerone Grimassen in die Kamera schneiden. Am Ende geht es zu Poppeas Krönung, bei der das Tanzkollektiv zeitlupenhaft und stumm vom Jubel übergeht in exzessiven Zorn. Tolle Metamorphosen. Tolle Bilder. Es hätte derer sicher noch mehr gegeben, würde sich diese Gestaltungskraft auch der Opernfiguren bemächtigt haben. So aber wirken Sonya Yoncheva (delikat, aber fast zu viel Power für Poppea) und Kate Lindsey (tolle vibratolose Klarheit als Nerone) und auch Ana Quintans (delikat als Drusilla) wie auch das gesamte gute Ensemble wie Exponate eines Opernmuseums, um das herum sich Leben abspielt.

Wobei: Dirigent William Christies (am Cembalo) und sein Ensemble Les Arts Florissants, das klein besetzt, aber mit üppiger Continuo-Gruppe agiert, sorgen für einen vitalen Klangrahmen. Ob es nun um ruppige Akzentuierung oder Lyrik ging, die sich auch aus der kammermusikalischen Nähe der Sänger zum Orchester ergab, es war historisch informierte, improvisierende und begleitende Kunst zur Stelle. (Ljubiša Tošić, 13.8.2018)