Doina Weber als schwarze Witwe und Daniel Kamen als Polizist spielen reizend.

Foto: Barbara Palffy

Reichenau/Rax – Sammeln Sie menschenfreundliche Merksätze? Dann ist der Thalhof in Reichenau die Anlaufstelle der Wahl. Seit 2017 entdeckt das Festival Marie von Ebner-Eschenbach (1830- 1916) als die Dramatikerin wieder, die sie nie war, und fasst dazu nach und nach ihre ergreifendsten Novellen als kleine Stücke neu. Eine lohnende Aufgabe für Humanisten. Und lehrreicher Stoff für alle, die es noch werden wollen.

Der Weg zur aufklärerischen Botschaft führt durchs Dunkel. Am Anfang steht die Exposition des geschundenen Wesens. Von diesem zeugt auf der Bühne (Lydia Hofmann) nur mehr der blutige Handschuh einer feinen Dame. Er liegt zwischen mit pastellfarbenen Stoffen bespannten Hockern auf dem Boden. Eine unerwartete Umgebung für eine so brutale Tat: Gertrud hat sich am Tag vor ihrem silbernen Hochzeitsjubiläum erschossen.

Fassungslos berichtet ihre Freundin (Doina Weber) davon. Die Finanzen sehen gut aus. Was kann der Grund gewesen sein? Plötzlich kommt ihr die Einsamkeit in den Sinn, die sie an Gertrud inmitten ihrer Familie oft bemerkt hat.

Regisseurin und Intendantin Anna Maria Krassnigg bürdet in Das tägliche Leben das ganze Erzählgewicht nur einer Darstellerin auf. Ab nun arbeiten wir uns mit Weber eine halbe Stunde durch die Abgründe der nach außen "allverehrten" Sippe. Es war letztlich der titelgebende Alltag mit allen zwischenmenschlichen Grobheiten, der Gertrud zerstört hat.

Herrliche Entdeckung

Weil das noch kein abendfüllendes Programm ist, wurde bei der Wiener Autorin Theodora Bauer ein zeitgenössisches Begleitstück in Auftrag gegeben. Die unglückliche Frau tötet darin am Abend vor ihrem 50. Hochzeitstag statt sich selbst den Gatten. Kann man das emanzipatorisch werten?

Bauer hat mit gerade einmal 28 Jahren schon zwei Romane veröffentlicht. Nach dem Debüt Das Fell der Tante Meri ist voriges Jahr Chikago erschienen. In ihrem Fall von einer herrlichen kleinen Entdeckung zu sprechen ist also einerseits verspätet und empfiehlt sich doch. Ihr Einakter Am Vorabend führt nämlich vergnüglich als auch klug in eine Polizeistube.

Dort fiebert ein junger Polizist (Daniel F. Kamen) seinem ersten Nachtdienst allein entgegen. Das Hemd sitzt dem Burschen etwas weit, ebenso die Hose. Sie wird schon enger, denn er lädt seine Freundin ein, ihn auf ein Pantscherl zu besuchen. Bloß es wird daraus nichts. Die Gräfin des Ortes (noch einmal Weber) tritt ein, um den Mord an ihrem Mann zu gestehen.

Pfui, Populist

Mit der Schreibmaschine auf dem Schoß nimmt der junge Polizist Platz, um das Geständnis aufzunehmen. Die Täterin hat sich zur Liebe und ihren Enttäuschungen Gedanken gemacht. Ihr Mann habe unter anderem gar eine Demenz erfunden, um sich nicht mehr mit ihr befassen zu müssen. Das Kinn in die Hand geschmiegt lauscht Bühnenpartner Kamen.

Schon allein wegen der Dialoge hat es die zweite Hälfte des Abends einfacher, die Spannung hochzuhalten. Bauer dosiert zudem toll zwischen Komik und Hintersinn. Sie flicht etwa Seitenhiebe auf populistische Politiker mit blondierten Freundinnen ein, die als Zukunftshoffnung gefeiert werden. Bloß am Ende wird feiner Witz unnötig zu Klamauk. Eine frische Ergänzung zum verdienstvollen, aber etwas angestaubt klingenden humanistischen Impetus Ebner-Eschenbachs. (Michael Wurmitzer, 14.8.2018)