Im Showgeschäft werden den ganz Großen gerne Adelstitel verliehen – ob sie wollen oder nicht. Michael Jackson nannten sie den King of Pop, Elvis Presley den König des Rock 'n' Roll. Aretha Franklin wird die Queen of Soul genannt – für immer. Dabei ist das tief gestapelt, sie hat immense Spuren hinterlassen. Als sie in den frühen 1960er-Jahren begann, Popalben aufzunehmen, war sie eine der wenigen Frauen im Geschäft, die die emotionale Wucht des Gospel in Popmusik transformierten.

Ihr Erfolg beim schwarzen und weißen Publikum ebnete im Anschluss vielen ihrer nachfolgenden Kolleginnen den Weg. Schon früh galt die begnadete Pianistin als weiblicher Ray Charles, doch ihre ersten acht Alben versteckten ihre Naturgewalt hinter laschen Produktionen und süßlichen Arrangements. Für eine halbwegs erfolgreiche Popkarriere reichte das, doch es bedurfte eines Jerry Wexler, um aus Aretha Franklin die Königin des Soul zu machen. Nun ist diese Regentin abberufen worden, die Jahrhundertkünstlerin ist am Donnerstag nach schwerer Krankheit gestorben.

Erster Millionenseller

Der Musikproduzent Wexler nahm Franklin 1967 unter Vertrag. Er flog sie in den US-Süden, wo er beständig Musikgeschichte schrieb – mit Stars wie Wilson Pickett, Percy Sledge, Dusty Springfield und vielen anderen. Wexler brachte Franklin nach Muscle Shoals in Alabama. Dort nahm sie mit einer Bande so käsiger wie hochkarätiger Musiker den Song I Never Loved A Man (The Way I Love You) auf, ein Monster.

Aretha Franklin mit "I Never Loved A Man (The Way I Love You)".
REBEL SONGBIRD

Der Song wurde ein Hit, das gleichnamige Album ihr erster Millionenseller, Lieder wie der Titelsong oder Do Right Woman, Do Right Man und ihre Version von Otis Reddings Respect machten sie zum Superstar. Die Alben, die sie in den nächsten zehn, zwölf Jahren für Atlantic aufnahm, waren die Bausteine des Throns dieser Queen.

Aretha Franklin mit Otis Reddings "Respect".
TatanBrown

Geboren wurde Aretha Louise Franklin am 25. März 1942 in Memphis, aufgewachsen war sie überwiegend in Detroit – als Tochter des populären Reverend C. L. Franklin. Der hatte einen Hang zum Weltlichen, war ein Freund von Martin Luther King, wurde wegen Marihuana verhaftet und liebte Partys. Mit ihm ging Aretha schon als Mädchen auf Tour, mit zwölf war sie das erste Mal schwanger, mit 15 zweifache Mutter – vier Söhne hatte Franklin insgesamt.

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Aretha Franklin mit Jerry Wexler (links) und Henry Allen.
Foto: REUTERS/Popsie Randolph/Atlantic Records

Als sie mit 19 vom Gospel zum Pop wechselte, unterstützte sie ihr Vater. Mit ihrem Background und ihrem Erfolg wurde sie in den späteren 1960ern eine prominente Stimme der Bürgerrechtsbewegung, ihr Respect eine der Hymnen der Bewegung. Ihre liberale Gesinnung behielt sie ein Leben lang, 2005 empfing sie dafür ausgerechnet unter George W. Bush die höchste Auszeichnung, die die USA an Zivilisten vergeben, die Presidential Medal of Freedom.

Dunkle Seiten

Für Wexler war Franklin mehr als nur eine begnadete Sängerin, für ihn war sie die Lady of Mysterious Sorrows. In seiner Biografie A Life in Rhythm and Blues beschreibt er sie als enormes Talent mit dunklen Seiten. Für Franklin besaß Musik therapeutischen Charakter. Ihre Einsamkeit, ihre Depressionen verpackte sie in unglaublich kraftvolle Songs.

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Im Studio mit den Produzenten Arif Mardin (rechts) und Donny Hathaway.
Foto: AP /Presto Public Relations

Wenige wussten von dem geschundenen Wesen hinter der Aura des Stars. Häusliche Gewalt, Alkoholismus und Fresssucht trafen auf Radikaldiäten und den Schein des Showbusiness. Ein Zwiespalt, der Franklin immense Kraft kostete und wenig mit der hemdsärmeligen Aretha zu tun hatte, die in dem Kultfilm Blues Brothers 1980 ihrem Gatten die Leviten las.

Aretha Franklins Gastauftritt in John Landis' "Blues Brothers".
Juanjo de Goya

Dennoch gelang ihr als Künstlerin der 1960er mühelos die künstlerische Transformation in die immens kreativen 1970er und 1980er. Frühe Atlantic-Alben wie Spirit in the Dark, Young, Gifted and Black oder Amazing Grace waren epochemachende Werke.

So ging es weiter. Noch 1985 verkaufte sich ihr Album Who's Zoomin' Who? über eine Million Mal und bescherte ihr einen ihrer 18 Grammys. An die 80 Millionen Alben soll sie verkauft haben. 1987 gelang ihr im Duett mit George Michael der Hit I Knew You Were Waiting (For Me), 1998 enterte sie mit A Rose Is Still A Rose die Top 40s mit Lauryn Hill als Produzentin.

Franklins Carole-King-Tribute aus dem Jahr 2015.
BuddyTravelr

Da galt sie längst als lebende Legende. Barack Obama rührte sie mit ihrer Kunst zu Tränen. Er sagte 2015: "Nobody embodies more fully the connection between the African-American spiritual, the blues, R&B, rock and roll the way that hardship and sorrow were transformed into something full of beauty and vitality and hope."

Immense Überzeugungskraft

"Soul ist Erwachsenenmusik", hat Jerry Wexler gesagt. "Man muss viel erlebt haben, um so emotional singen zu können." Franklin wurde früh in das Erwachsenenleben gestoßen, ihre Eltern trennten sich, als Aretha zehn war, starb ihre Mutter. Deshalb besaß sie mit 25 eine Überzeugungskraft, der sich das Publikum nicht entziehen konnte. Sie schulterte Kraft, Sucht, Schmerz und Trauer, verpackte diese Lasten in emotionale Achterbahnfahrten, immer mit Hoffnung als Motor. Die Eleganz mancher Songs mag unter ihrem Expressionismus gelitten haben, ihrer Wirkung konnte man sich dennoch nicht entziehen. Bis zuletzt nicht.

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Aretha Franklin beim Tribeca Film Festival, April 2017.
Foto: AP/Charles Sykes/Invision

2015 trat sie bei einem Tribute-Abend für die Songwriterin Carole King auf und erschütterte mit einer Version von (You Make Me Feel Like) A Natural Woman die Fundamente des Saals. 2010 wurde bekannt, dass Franklin an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt sein soll, in den letzten Jahren hatte sie immer wieder Auftritte aus gesundheitlichen Gründen abgesagt. Nun ist diese Unsterbliche gegangen. Die Königin des Soul wurde 76 Jahre alt. (Karl Fluch, 16.8.2018)