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Eduard Sueß schlug den Bau der Wiener Hochquellenleitung vor und trieb die erste Wiener Donauregulierung voran.

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Vor allem aber legte er die erste fundamentale Erdgeschichte unseres Planeten vor. Sein Monumentalwerk "Das Antlitz der Erde" ist bis heute lesenswert.

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Der Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz heute.

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Als am 24. Oktober 1873 die ersten Fontänen aus dem Hochstrahlbrunnen auf dem Wiener Schwarzenbergplatz in die Höhe schossen, brach für die Stadt und ihre Bewohner eine neue Ära an. Das Wasser, das bei der feierlichen Inbetriebnahme des Brunnens vor den Augen Kaiser Franz Josephs aus den Düsen spritzte, stammte aus den Kalkalpen im niederösterreichisch-steirischen Grenzgebiet in mehr als 90 Kilometern Entfernung und war von herausragender Qualität: Es war über die neu errichtete Hochquellenleitung aus dem Rax-Schneeberg-Gebiet nach Wien geflossen.

In den folgenden Jahren wurden immer mehr Häuser an die neue Wasserleitung angeschlossen, 1888 konnten bereits mehr als 90 Prozent der Wiener Bevölkerung über diese versorgt werden. Wasserknappheit und insbesondere die tödliche Seuchengefahr durch verunreinigte Brunnen gingen dramatisch zurück.

Gigantische Projekte

Die Umsetzung dieses visionären Megaprojekts war vor allem einem Mann zu verdanken, der stets wissenschaftliche Erkenntnis mit praktischem Nutzen für das Allgemeinwohl zu verbinden versuchte: Eduard Sueß.

Der Wiener Geologe schlug nach einer eingehenden Untersuchung der Bodenverhältnisse den Bau der Hochquellenleitung vor und setzte ihn als liberaler Politiker und Gemeinderat gegen zahlreiche Widerstände durch. Er war es auch, der die erste Wiener Donauregulierung zur Minderung der Hochwassergefahr in den 1870er-Jahren vorantrieb.

Professor ohne Doktorat

Es sind aber keineswegs nur diese stadtplanerischen Errungenschaften, die Sueß zu internationalem Ansehen verhalfen. Er kann getrost als Begründer der modernen Geologie bezeichnet werden. Es ist schwer, einen Bereich oder besser: eine Schicht in den Geowissenschaften zu finden, in der Eduard Sueß seinen Fußabdruck nicht hinterlassen hat.

Er revolutionierte die Annahmen über die Entstehung der Alpen und anderer Kettengebirge. Er führte Begriffe wie Atmosphäre und Biosphäre in die Geologie ein und trug maßgeblich zu einer systemischen Betrachtung unseres Planeten bei. Sueß erkannte auch, dass es einst einen Superkontinent und einen Ur-Ozean gegeben haben muss, bis heute tragen sie die Namen, die er ihnen gab: Gondwana und Tethys.

Und schließlich legte er in seinem Hauptwerk "Das Antlitz der Erde" die erste umfassende geologische Globalgeschichte unseres Planeten vor. Was auch immer Sueß von der heutigen Diskussion über das Anthropozän gehalten hätte, interessiert hätte sie ihn mit Sicherheit: Mit dem Eingriff des Menschen in geologische Prozesse beschäftigte er sich schon vor mehr als 150 Jahren, als der Faktor Mensch in seiner Disziplin noch als vernachlässigbar galt.

Revolution und Paläontologie

Eduard Sueß wurde 1831 in London geboren, die Familie übersiedelte zunächst nach Prag und später nach Wien, wo Sueß das Gymnasium abschloss. Das Studium, das er am Wiener Polytechnischen Institut (heute Technische Universität Wien) aufnahm, fand 1848 eine jähe Unterbrechung: Sueß schloss sich den Revolutionären an.

Einige Jahre später brachten ihm seine "liberale Betätigung" und seine angebliche Teilnahme an einer Verschwörung eine kurzzeitige Verhaftung ein. Ans Polytechnische Institut kehrte er nicht mehr zurück, der Studienabschluss blieb aus.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Sueß aber bereits die Paläontologie für sich entdeckt: Als gerade einmal 20-Jähriger betrat er mit einer Veröffentlichung über Graptolithen, eine ausgestorbene Klasse von Meerestieren, die wissenschaftliche Bühne.

Keine Entmutigung

Das vernichtende Urteil des französische Forschers Joachim Barrande, der die Arbeit des jungen Mannes auf seinem eigenen Fachgebiet als Bedrohung ansah, entmutigte Sueß zum Glück nicht. Er erhielt eine Assistentenstelle am k. k. Hofmineralienkabinett, heute Teil des Naturhistorischen Museums, und widmete sich der Erforschung fossiler Säugetiere. Sueß machte sich schnell einen Namen.

Im Alter von nur 25 Jahren bestellte ihn Kaiser Franz Joseph 1857 zum ersten außerordentlichen Professor für Paläontologie an der Universität Wien – obwohl er kein Doktorat erworben, geschweige denn sich habilitiert hatte.

Fünf Jahre später erfolgte auch die Ernennung zum Professor für Geologie: Sueß beschäftigte sich inzwischen intensiv mit der geologischen Beschaffenheit Wiens. "Zu dieser Zeit fanden gerade die Bauarbeiten für die Wiener Ringstraße statt, es gab große Erdbewegungen, und Sueß nutzte diese Gelegenheit für seine Forschung", sagt der Wissenschaftshistoriker Johannes Seidl vom Archiv der Universität Wien.

Geologische Spuren

Sueß schenkte dabei auch den geologischen Spuren des Menschen seit der Römerzeit Aufmerksamkeit: Er kartierte die "Schuttdecke" im Wiener Boden, eine Schicht, die durch menschliche Aktivität wie Bautätigkeit, Bewirtschaftung oder Abfälle entstanden ist. "Damit war Sueß ein Pionier, er zählte zu den ersten Stadtgeologen der Welt", sagt Seidl. Aus seinen Wiener Studien leitete Sueß schließlich auch die Erkenntnisse ab, die zum Bau der Hochquellenleitung und zur Donauregulierung führten.

Kaum waren diese beiden Riesenprojekte erfolgreich abgeschlossen, sorgte Sueß mit seinen Gebirgsstudien in Fachkreisen für Aufsehen: In seinem 1875 erschienenen Werk "Die Entstehung der Alpen" erteilt er der verbreiteten Ansicht, Kettengebirge seien das Ergebnis einer Hebung von unten oder von Vulkanismus, eine Absage: Er erklärte den Vorgang der Alpenbildung mit dem seitlichen Zusammenschub der Erdkruste und begründete damit die Deckenlehre mit.

Sueß' größter Erfolg war es aber, die von ihm im Alpenraum erkannten geologischen Gesetzmäßigkeiten mit Beobachtungen junger Forscher aus aller Welt zu verknüpfen und auf die Entstehung des gesamten Planeten anzuwenden: In seinem dreibändigen Monumentalwerk "Das Antlitz der Erde" gibt er einen Überblick über die Abgrenzung der Kontinentalschollen, die Ausbreitungen und Rückzüge der Meere und die Bewegungen der Erdkruste, die unseren Planeten formten. Das Buch, an dem Sueß zwei Jahrzehnte lang gearbeitet hatte, wurde mehrfach übersetzt und galt lange als Standardwerk der Geologie.

Antisemitische Attacken

Sueß war nicht nur Mitglied zahlreicher Gelehrtengesellschaften, sondern auch langjähriger Präsident der Akademie der Wissenschaften in Wien, die unter seiner Leitung eine Blütezeit erlebte. "Sueß war ein großer Denker, aber auch ein äußerst talentierter Wissenschaftsmanager – vielleicht war das sogar seine allergrößte Bedeutung", sagt Seidl.

Doch der erfolgreiche Wissenschafter musste eine schwere Enttäuschung erleben: Schon seit den 1880er-Jahren war Sueß, dessen Mutter jüdischer Herkunft war, zur Zielscheibe antisemitischer Attacken geworden, zunächst vorwiegend seitens christlich-sozialer Politiker, die gegen seine liberalen Ansichten kampagnisierten. Als er 1888 zum Rektor der Universität Wien gewählt worden war, eskalierten die antisemitischen Anfeindungen und Protestaktionen deutschnationaler Burschenschaften derart, dass Sueß das Amt nach nur wenigen Monaten zurücklegte.

Zahlreiche Ehren

Er widmete sich weiter der Wissenschaft und seiner Arbeit an der Akademie, der er noch bis 1911 vorstand. Seine großen Verdienste wurden vielfach gewürdigt, heute sind unter anderem ein Gletscher und ein Berg in der Antarktis sowie ein Mondkrater nach ihm benannt. Eduard Sueß starb am 26. April 1914 im Alter von 82 Jahren in Wien.

"Der Zusammenbruch des Erdballes ist es, dem wir beiwohnen", schrieb Sueß im "Antlitz der Erde". "Er hat freilich schon vor sehr langer Zeit begonnen, und die Kurzlebigkeit des menschlichen Geschlechtes lässt uns dabei guten Muthes bleiben." In welchem Ausmaß der Mensch im folgenden Jahrhundert zu einem geologischen Faktor werden würde, konnte Sueß nicht ahnen. Aber vielleicht hätte er auch heute den "guten Muth" nicht verloren. (David Rennert, 24.10.2018)