Krzysztof Warlikowski, Regisseur der Salzburger Premiere von "The Bassarids" am Donnerstag, setzt auch auf körperliche Transparenz.

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Der deutsche Komponist Hans Werner Henze im Jahr 2009, drei Jahre vor seinem Tod.

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Salzburg – Es ist bisweilen eine kauzige Sache mit Opernuraufführungen in Salzburg: Auf jene von György Kurtág warten die Festspiele quasi bis heute. Der Meister wurde und wurde nicht fertig, mittlerweile umweht das Salzburger Warteprojekt auch ein Hauch von Vergeblichkeit. Der ehemalige Intendant und Auftraggeber des Werkes, Alexander Pereira, nahm das unfertige Projekt ja fast still und heimlich mit an die Mailänder Scala, wo er zurzeit wirkt. Nun firmiert Kurtágs Werk dort unter dem Titel Fin de Partie – armes Salzburg: Es bleibt Wolfgang Rihms Dionysos – in Salzburg 2010 aus der Taufe gehoben – bis dato also die letzte Opernneuheit, die die Festspiele präsentieren konnten.

Schöngeist der Ära Ruzicka

Mit dem deutschen Komponisten Hans Werner Henze hatte Salzburg mehr Glück als mit Kurtág: Mit L'Upupa hat der 2012 verstorbene geistreiche Schöngeist der Ära von Peter Ruzicka Neues beschert (2003). Und wenn am Donnerstag dessen Bassarids aufleuchten, sind sie die Erinnerung an eine 1966 eingegangene spezielle Beziehung zwischen Komponist, Werk und Festspielen: "Ich habe", so Henze, "diese Oper für dieses Haus, für diese Bühne komponiert", und er habe damit das Große Festspielhaus gemeint. Bis zu diesem Werk war für den Sohn eines aus dem Krieg nie heimgekehrten, gewalttätigen Nazis mit Boulevard Solitude, König Hirsch und Der Prinz von Homburg tendenziell eher Kammeroper angesagt gewesen.

Plötzlich aber große Chöre, die an Antikes gemahnen. Dazu orgiastische Klänge, zwei Stunden lang, ohne Unterlass: Die Bassarids wurden für Henze schließlich zu einer Art Gipfelpunkt seines Schaffens: "Hektisch, in einer ungewöhnlich kurzen Zeit, in weniger als einem Jahr, in einer Protesthaltung ohne ausreichende theoretische Basis und in großer Vereinsamung" habe er das Werk geschrieben. Es sei im Rückblick sein "wichtigstes Theaterwerk: Interessant und modern und uns angehend und eigentlich auch die Jahre um 1968 angehend" sei es. Und es stelle Fragen: "Was ist Freiheit, was ist Unfreiheit? Was ist Repression, was Revolte, was ist Revolution?", so Henze.

Schwer verständlich

1966 wurde das Werk, dem als Vorlage das Euripides-Drama Die Bakchen dient, freundlich, aber offenbar auch mit einer gewissen Ratlosigkeit aufgenommen. Die Stuttgarter Zeitung etwa schrieb, ohne "mühsame Vorbereitung" könne "selbst der gutwilligste Opernbesucher so gut wie nichts begreifen ..." Der Musik jedoch wurden Rosen gestreut: "Henze hat die Kraft, auch das schon Vorhandene seiner schöpferischen Fantasie einzuschmelzen", hieß es da treffsicher über einen, der kein komponierender Strukturdogmatiker der Moderne war. Wenn etwas an Henze provozierte, dann seine Offenheit für die Historie, die sich ja schon in der Werkbezeichnung offenbarte: The Bassarids kamen als Opera seria daher, also in einer Form, deren Anfänge in das 17. Jahrhundert reichen.

Nur logisch, was Henze 1966 sagte: "Ich bin der Ansicht, dass der Weg von Wagners Tristan zu Mahler und Schönberg noch lange nicht ausgeschritten ist. Und mit den Bassariden habe ich versucht, ihn weiterzugehen. Ich will nicht verzichten auf das, was uns die Jahrhunderte zuspielen."

Bezug zum Heute

Solche Sätze trennten ihn von der gestrengen seriellen Avantgarde. Aber der Bruch war längst passiert: 1957 standen drei nicht ganz unbekannte Komponisten bei der Uraufführung von Henzes Nachtstücke und Arien bei den Donaueschinger Musiktagen nach nur ein paar Takten auf und verließen unter Protest den Saal. Es waren Pierre Boulez, Luigi Nono und Karlheinz Stockhausen. Die Trennung war vollzogen, und auch später erklang leiser Spott: The Bassarids, die den Konflikt zwischen Vernunft und triebhaftem Rausch wie den Drang nach absoluter Herrschaft thematisierten, wurde schon einmal "die einzige Oper von Gustav Mahler" genannt.

Von Anfang an allerdings hatte Henze eine "Sehnsucht nach dem vollen, wilden Wohlklang". Und noch in seinen letzten Reflexionen bestand der ganz und gar nicht unpolitische Freund von Rudi Dutschke darauf: Musik brauchte eine sinnliche Komponente, ansonsten "sie trocken wäre, der Klang trägt ja auch die Idee der Musik".

Der Regisseur der aktuellen Produktion Krzysztof Warlikowski betont dennoch das politisch Engagierte der Oper: "Dem Wunsch der Masse nach einer Richtung setzt Henze einen Propheten vor – Religion als Opium fürs Volk. Ich denke, das wollte er mit dieser Oper sagen. Er zeigt ein Volk, das das Dionysische attraktiver findet als das Biedere des Pentheus."

Mode Rechtspopulismus

Das habe einen dringlichen Bezug zur Gegenwart, wenn die Zuneigung zum Rechtspopulismus eine Art Mode wird: Gegenwärtig "passiert etwas, das wir eigentlich schon als abgeschlossen geglaubt hatten", sagt Warlikowski und denkt dabei vielleicht an Dionysos, der in der Oper die Massen zu Exzessen treibt und aufhetzt. Schließlich tötet eine Mutter im Rausch ihren Sohn und bemerkt erst am nächste Morgen, wessen Kopf sie in den Armen hält. Auch ein neues Salzburger Werk könnte wohl die Folgen populistischer Exzesse nicht drastischer vermitteln als dieses Werk der 1960er-Jahre. (Ljubisa Tosic, 16.8.2018)