Die Leberchirurgen setzen auf Kooperation und geben Wissen weiter: Innsbruck ist ein Zentrum in der EU.

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Fünf Mediziner stecken ihre mit OP-Masken verhüllten Köpfe über dem geöffneten Torso zusammen und beratschlagen sich eifrig. Die Chirurgin aus Spanien leitet die Gruppe, sie ist die erfahrenste Ärztin in der Runde und kommt vom renommierten Leberzentrum Hospital Vall d'Hebron in Barcelona.

Sie erklärt den Umstehenden, wie sie mit dem Ultraschallgerät zum Organ vordringt und es dort fachgerecht einsetzt. Arbeitssprache ist Englisch. Immerhin stehen hier fünf Nationen rund um den Operationstisch, um unter realen Bedingungen eine Leberteilsektion zu üben.

Gemeinsam im OP

Mehrere solcher Gruppen arbeiten im großen Saal der Anatomie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Insgesamt 21 Teilnehmer und zehn Vortragende aus 15 verschiedenen Ländern haben sich Ende April zwei Tage lang zum ersten "Hands on Course on Liver Surgery" der europäischen Gesellschaft für chirurgische Onkologie (ESSO) getroffen. Stefan Stättner, leitender Oberarzt für Viszeral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie sowie Österreichs erster und bislang einziger europäischer Facharzt für Leber- und Pankreaschirurgie, hat diesen Kurs nach Tirol geholt.

Für den Medizinstandort Innsbruck, der in Sachen Lebertransplantation zu den führenden in Europa zählt, bedeutet das eine bemerkenswerte Aufwertung. Denn die ESSO wird fortan jährlich einen solchen Lehrgang in Tirol abhalten. "Diese Form der medizinischen Education ist sehr im Kommen. Es ist ein großes Renommee für die Klinik, diesen Kurs auszurichten", sagt Stättner, der ab Oktober als erster Österreicher Mitglied im Educational and Training Committee der ESSO sein wird.

Neben dem Ansehen sei es vor allem der Paradigmenwechsel, der ihm am Herzen liege. Denn bisher, erklärt der Experte, habe gerade in der Chirurgie eine Art Kirchturmdenken vorgeherrscht.

Im Operationssaal

Vor allem die ältere Generation der Chirurgen hat ihr Wissen oft nicht oder nur unzureichend an die Jungen weitergegeben, wie das eigentlich wünschenswert wäre. Dieses System, diese alten Dogmen, die brechen nun langsam auf, ist Stättner überzeugt. Die ESSO-Kurse sind ein probates Mittel dazu, weil sie junge und erfahrene Kollegen am OP-Tisch zusammenbringen.

"Die höchste Kunst in der Chirurgie ist es, jemanden Unerfahrenen durch eine komplexe Operation zu führen", sagt der Mediziner. Er selbst habe das Glück gehabt, schon sehr früh sehr viel selbst operieren zu dürfen. Ein Startvorteil, den viele junge Kollegen noch nicht hätten: "Oft dauert es eine halbe Ewigkeit vom ersten Hautschnitt bis zur ersten richtigen OP, speziell im Bereich der komplexen Leberchirurgie. So kann man allerdings als junger Arzt auf Dauer nur wenig dazulernen."

Im Saal der Anatomie wird klar, was Stättner meint. Unter Anleitung der erfahrenen Chirurgin aus Barcelona lernen junge Kollegen aus Großbritannien und der Schweiz, mit welchen Handgriffen man die Leber aus dem Bauchraum hebt. Die Gruppenleiterin verteilt die Rollen: Der Brite soll das Organ halten, der tschechische Kollege bindet die Gefäße ab, während eine junge Chirurgin aus Kroatien damit beginnt, den mit Metastasen besetzten Teil zu entfernen. Für den Laien ist es ungewohnt, die Ärzte bei ihrem Handwerk zu beobachten. Denn es ist wahrhaftig manuelle Arbeit, die hier geleistet wird.

Training ist alles

Der süßliche Leichengeruch ist kaum wahrnehmbar. Die Torsos auf den OP-Tischen wurden von den Kollegen der Anatomie so präpariert, dass die Chirurgen wirklich unter realen Bedingungen arbeiten können. Selbst sämtliche Gerätschaften aus dem echten Operationssaal wurden herangekarrt, um die Simulation perfekt zu machen. Allein die für Eingriffe an der Leber typischen Blutungen fehlen. "Für Laien wäre es dennoch nicht zu unterscheiden, ob es sich um ein Präparat oder eine frische Leiche handelt", erklärt Romed Hörmann, der für diese Vorbereitungen verantwortlich zeichnete, nicht ohne Stolz. Durchschnittlich sind die verwendeten Präparate zwischen wenigen Wochen und drei Monaten alt.

Neben den praktischen Einheiten in der Anatomie wird im Rahmen des ESSO-Kurses auch am lebenden Patienten gearbeitet. Mittels Liveübertragung aus dem Operationssaal können die Kursteilnehmer den Ausbildnern dabei zusehen, wie sie eine echte Leberteilsektion durchführen. Es besteht sogar die Möglichkeit, während der OP Fragen zu stellen. Während unten die Chirurgen arbeiten, wird oben im Hörsaal eifrig diskutiert und analysiert.

Es ist diese Mischung aus Praxis und Theorie, die die ESSO-Kurse so effektiv und wertvoll für die Teilnehmer macht. Der internationale Erfahrungsaustausch unter Fachleuten sei für alle Beteiligten wertvoll, erklärt Stättner: "Wir haben Teilnehmer, die seit 20 Jahren oder mehr im Beruf stehen und die mit ein, zwei konkreten Fragen anreisen, die sie zusammen mit anderen versierten Kollegen erörtern wollen." Zugleich würden aber auch die jungen Kollegen davon profitieren, die unterschiedlichen Zugänge der einzelnen Chirurgen aus renommierten Zentren kennenzulernen. Denn es gibt auch in der Chirurgie je nach Herkunft leicht unterschiedliche Schulen, die durchaus variieren können.

Praxis und Theorie

Das wird auch bei der Übung am Torso deutlich. Mediziner aus drei verschiedenen Nationen diskutieren angeregt, mit welcher Hand man nun am besten die Leber aus der Bauchhöhle hebt. Jeder einzelne Handgriff ist wichtig, denn das Organ ist überraschend groß. Eine Hand genügt oft gar nicht, um es vollständig zu fassen, erklärt die spanische Expertin den aufmerksam lauschenden Kollegen. Die Erfahrungen, die die Chirurgen bei diesen praktischen Übungen sammeln, sind viel eindrücklicher, als wenn sie nur theoretisch vermittelt würden. "Diese Form der Ausbildung muss daher mehr Bedeutung erhalten", ist Stättner überzeugt.

In seinem Arbeitsumfeld hat der von dem 42-jährigen Chirurgen geforderte Paradigmenwechsel bereits stattgefunden. "Unser Klinikdirektor Dietmar Öfner-Velano unterstützt diese Systemänderung. Er weiß, dass damit langfristig auch die Reputation des Hauses steigt", sagt Stättner.

Dass Innsbruck nun jährlich ESSO-Leberkurse veranstaltet, sei als eine erste Frucht dieser Arbeit zu sehen. Zusammen mit dem Transplantations- und Viszeralchirurgen Manuel Maglione bildet der gebürtige Wiener Stättner ein eingespieltes Team. Und mit dem 34-jährigen Oberarzt Florian Primavesi kann er zudem auf einen Kollegen verweisen, der bereits von ihm in diesem Sinne "aufgebaut" wird: "Wir kennen uns seit meiner Zeit an der Klinik in Salzburg, und er ist mittlerweile im Vorstand des Juniorkomitees der ESSO."

Innsbruck als Leber-Zentrum

Langfristig träumt Stättner davon, einen ESSO-Kongress in Innsbruck zu veranstalten: "Das wäre für uns der ideale Einstieg in die europäische Bühne der chirurgischen Onkologie." Denn fachlich sei Innsbruck, so wie andere Standorte in Österreich, durchaus auf internationaler Ebene konkurrenzfähig. Was allerdings noch teilweise fehle, sei die Vernetzung und Kooperation mit anderen nationalen und internationalen Zentren.

Für Stättner der einzig gangbare Weg, um im Zuge der stetig zunehmenden Spezialisierung nicht den Anschluss zu verlieren. "Wir müssen unser Wissen austauschen und zusammenarbeiten, um auch im klinischen Bereich wissenschaftlich voranzukommen, wie das Beispiel der Niederlande zeigt", wiederholt er immer wieder. Denn er ist sich sicher: "Ich will nicht glauben, dass das nicht auch in Österreich möglich ist."

Der Generationenwechsel in der Ärzteschaft sei hilfreich, um das alte Kirchturmdenken zu überwinden. Aber es brauche auch Engagement und den Willen zur Veränderung des Systems bei den nachfolgenden Generationen. "Ein guter Chef sieht diese Notwendigkeit", sagt der Chirurg, "denn er weiß, dass man dadurch nur gewinnen kann." (Steffen Arora, CURE, 7.11.2018)