Rabauke am Pult und Meister überirdischer Ruhe: Dirigent Teodor Currentzis.

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Wie viele Musiker verlangt ein vollendetes Pianissimo? Ziemlich viele. Die tiefen Streicher von Teodor Currentzis' Orchester füllten – bei mustergültig nichthustendem und nur lautlos handyspielendem Publikum – mit den ersten Tönen der "Freudenmelodie" die Felsenreitschule mit purer Energie.

Zerrissen, radikal, von innerer und äußerer Verletzung erzählend, knallte Currentzis dem verblüfften Publikum einen Abend lang die vielen rezitativischen Momente von Beethovens Neunter um die Ohren. Die Einleitung zum Finale muss mehrere Anläufe nehmen, bevor der Jubel "freudig, wie ein Held zum Siegen" zum Ausbruch kommen darf.

Es war ein Jubel, der selbst im Triumph noch die atemberaubende Stille jenes Streicher-Pianissimos in sich trug. Der "Herr" kommt nicht mit Sturm und Erdbeben, sondern im Säuseln. Dass dies auch für eine Interpretation Currentzis' gilt, überraschte jedoch.

Eine gefährliche Sache

Der wilde griechisch-russische Bursche mit den roten Schuhbändern bestreitet in diesem Festspielsommer mit seinem Orchester Music Aeterna of Perm Opera einen kompletten Zyklus von Beethoven-Sinfonien. Weiter geht es im Großen Saal des Mozarteums. Zur Ode an die Freude vereinigten sich Music-Aeterna-Chor und Salzburger Bachchor. Sie betörten bilateral mit Pianissimi "überm Sternenzelt", verführten in perfekter Propaganda zur "Brüderlichkeit". Und wer's nicht gekonnt? Der stehle weinend sich aus diesem Bund. Musik war immer eine gefährliche Sache.

Wie gefährlich, das zeigte Currentzis, indem er die geruhsam atmenden, weit aussingenden Momente, besonders der grandiosen Holzbläser, in umso schroffere Abgründe stürzen ließ. Im Scherzo fuhr er Orchester und Publikum in einem schrillen Spielmannszug wie gegen die Wand. Gelegentlich verlor er – Rattenfänger im Rennwagen – die Kontrolle, kratzte dann aber doch immer die Kurve.

Dröhnenden Kopfes begaben sich gut 1600 Leute in den dritten Satz, diesen wiegenden Wechselgesang zwischen Bläsern und Streichern im Nirwana der Harmonielehre. Mit ihm erweckte Currentzis überzeugend eine Ahnung von Frieden. Den Solisten – grandios kontrolliert und textdeutlich Janai Brugger, Elisabeth Kulman, Sebastian Kohlhepp und Michael Nagy – weitete er das Sternenzelt zum Raum überirdischer Ruhe. Es gab noch nie gehörte Decrescendi zu bestaunen. Leise singen bei Beethoven? Geht wohl nur, wenn es vorher so richtig kracht. (Heidemarie Klabacher, 17.8.2018)