"Der Adorno Afghanistans": Professor Ali M. Zahma.

Foto: Regine Hendrich
Foto: mandelbaum verlag

Anfang Juli starb der Autor und Dichter, Historiker und Philosoph Ali M. Zahma in Wien. Zahma wurde 1928 in Kandahar geboren und war viele Jahre lang Professor für persische Literatur und Geschichte Afghanistans an der Universität Kabul. Nach Berufsverbot, Haft und Folter gelang ihm 1985 die Flucht ins österreichische Exil. Vor kurzem ist eine von Christian Reder sorgfältig ausgearbeitete Biografie des großartigen Denkers erschienen, der bereits in den 1950er-Jahren zu einer kleinen, aber nicht unbedeutenden Gruppe von Reformern gehörte. Zahma setzte sich zeit seines Lebens für demokratische Freiheiten in seinem Land ein und geriet deswegen immer wieder in Konflikt mit der herrschenden Politik; wahlweise wurde er als Sozialist verfolgt oder aber als jemand, der angeblich "west- liche Gedanken" ins Land bringen wollte.

Christian Reder, Professor für Kunst- und Wissenstransfer in Wien, verband ein enges freundschaftliches Verhältnis mit dem "Adorno Afghanistans", wie er ihn nennt. Reder war von 1980 bis 1994 Leiter des Österreichischen Hilfskomitees für Afghanistan, das während des Bürgerkriegs vor Ort auf beeindruckende Weise zehntausende Flüchtlinge unterstützte. Die nach vielen Gesprächen mit ihm detailreich kommentierte Biografie von Ali M. Zahma macht Geschichte und Lebensumstände in Afghanistan greifbar – denn in den letzten 40 Jahren seien, so beklagt Reder, über Afghanistan hauptsächlich Kriegsreportagen erschienen.

Goldenes Zeitalter

Reder widmet auch ein eigenes Kapitel Zebenda Zahma, die Ali Zahma im Jahr 1959 heiratete. Sie brach mit üblichen Frauenrollen und leitete in den 1960er-Jahren eine neu aufgebaute Frauenklinik im Norden des Landes. Dies war möglich, da die Periode zwischen Zweitem Weltkrieg und Beginn des Afghanischen Bürgerkrieges im Jahr 1978 relativ liberal war und oft als "goldenes Zeitalter" des Landes beschrieben wird. Kabul wurde als "eine der modernsten Städte Asiens" gepriesen. Reder beschreibt eindrücklich, wie viele frühe Besucher des Landes und – seit den 1960er-Jahren – tausende Richtung Indien reisende Hippies erfahren konnten, wie tolerant die Bevölkerung auf noch so eigenwillige Lebensformen reagierte.

Da nie kolonisiert, nie dauerhaft von den Briten beherrscht, gebe es in Afghanistan "keinen Komplex auszuheilen". "Ein Fremder? Ein farangi? Ist einfach ein Mensch!", notierten der Maler Thierry Vernet und sein Reisegefährte Nicolas Bouvier im Zuge einer Afghanistan-Reise in den 1950er-Jahren. Im Jahr 1959 wurde der Schleierzwang, der auf dem Land ohnehin kaum praktiziert wurde, ohne nennenswerte Gegenwehr aufgehoben. Trotz der Herrschaft des Königs Zahir Shah, der mitunter auch brutal gegen Proteste vorging, gab es immerhin Hoffnung auf eine positive Entwicklung. Auch Ali M. Zahma beteiligte sich an vorderster Front an den Reformbestrebungen.

Doch im April 1979, noch vor dem Putsch und Monate vor der Sowjetinvasion, wurde Ali M. Zahma inhaftiert und schwer gefoltert. Oft nahm der berüchtigte Geheimdienstchef Asadullah Sarwari selbst an den Folterungen teil. Zahma wurde beschuldigt, als Angehöriger der Minderheit der Hazara und als Reaktionär die Konterrevolution der Mudschahedin zu unterstützen. Nach elf Monaten kam er frei, 1985 wurde ihm ein Aufenthalt im Budapes- ter Sankt-László-Krankenhaus gestattet, um seinen Diabetes und die Folgen der Folter zu behandeln. Von dort gelang ihm mit der Hilfe von Reder die Flucht nach Wien, wo er seine verbleibenden 33 Lebensjahre verbrachte.

Die komplexe Geschichte Afghanistans ist im Westen heute wenig bekannt. Um ihre Abschiebepolitik zu rechtfertigen, stützten sich die österreichischen Behörden bis vor kurzem auf die extrem fragwürdigen "Länderberichte" des Geschäftsmanns Karl Mahringer aus Liezen. Ali M. Zahma hingegen gehört zu den wichtigen Stimmen des Landes, die die Realität niemals beschönigten, sondern auf wirklich gerechte und demokratische Verhältnisse hinarbeiten wollten. Die Geschichte Afghanistans hielt in der Tat immer wieder Möglichkeitsfenster für die Entwicklung hin zu einer toleranten und solidarischen Gesellschaft offen. Doch wie so viele andere Länder der Peripherie wurde Afghanistan zwischen den Fronten des Kalten Krieges aufgerieben. Tausende islamistische Kämpfer wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren von den USA unterstützt und ausgebildet, um im Land am Hindukusch gegen die Sowjets zu kämpfen.

Die fünfjährige Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 (Kabul wurde bereits 1992 von Islamisten erobert) stellte dann ein Worst-Case-Szenario dar, das der Westen mitzuverantworten hat. Heute dauert der sogenannte "Krieg gegen den Terror" bereits seit 17 Jahren an. Zahma blieb es verwehrt, eine positive Wendung in seinem Land zu erleben – zuletzt prophezeite er Afghanistan noch "Jahre der Unruhe".

Mit Zahma hatte Wien das Glück, einen herausragen- den Denker beherbergen zu dürfen, den wir gerade jetzt als kritische Stimme bräuchten. Reder ist es hoch anzurechnen, dass er Zahma mit seiner Biografie vor dem Vergessen bewahrt. (Alexander Behr, 23.8.2018)