In Hallstatt läuft soeben eine ganz besondere Rettungsaktion an. Das Salzbergwerk wird saniert. Die Stollen, die Menschen vor Tausenden von Jahren in den Salzberg geschlagen haben, sind vom Verfall bedroht. Nur drei solcher prähistorischer Abbaustätten sind weltweit erhalten. Eine davon im oberösterreichischen Salzkammergut.

Die Anrufe, die Bürgermeister Alexander Scheutz (SPÖ) derzeit aus dem Ausland erreichen, haben aber mit den prähistorischen Fundstellen nur am Rande zu tun. Die britische "BBC", das deutsche "ZDF", der "Spiegel" – alle namhaften Medien haben sich angesagt, um über die kleine malerische Marktgemeinde im Salzkammergut zu berichten.

"Dabei ist Werbung das Letzte, was wir derzeit brauchen", sagt Scheutz leicht gequält. Die verzwickte Lage versucht er dennoch mit Humor zu nehmen. Er kämpft mit einem Aufstand der Einheimischen. Hallstatt werde von Touristen überrannt, klagen viele.

Hallstatt ist berühmt. Bis nach China reicht der gute Ruf des malerischen Ortes im oberösterreichischen Salzkammergut. Dort gibt es zwar jetzt eine Kopie, die asiatischen Gäste kommen trotzdem in Scharen zum Originalschauplatz.
Foto: Salzwelten Hallstatt

Hallstatt ist berühmt, weit über Europa hinaus. Und hier kommt wieder das Salzbergwerk ins Spiel. Die Fundstätten, die in den vergangenen Jahrzehnten freigelegt wurden, sind wichtiger Teil des Unesco-Weltkulturerbes. Das Prädikat ist aber nicht nur Auszeichnung, es ist Last zugleich.

"2001 berichteten Zeitungen vom sterbenden Dorf", sagt Scheutz und versucht sich in Humor, "heute gibt es das gegenteilige Problem." So berühmt und bewundert ist die kleine Marktgemeinde – eingezwängt zwischen Berg und See – , dass es die Chinesen für eine Wohnsiedlung in Luoyangzhen kopiert haben.

Ein Grund mehr, dass die Hallstätter sich über viele Gäste freuen können, oder, besser gesagt, könnten. Denn so groß ist das Entzücken bei so manchem Einheimischen nicht. Die Bürgerliste Bürger für Hallstatt hat bei der Gemeinderatswahl 2015 auf Anhieb 28 Prozent der Stimmen erhalten und sogar die ÖVP überholt. Ihr Programm: Tourismus mit Maß und Ziel. Deutlicher könnten die Zeichen kaum sein.

Die Bürgerliste gibt jenen eine Stimme, denen alles viel zu viel ist. Touristen, die abenteuerlustig bis in Gärten, ja sogar in die Häuser vordringen, nerven. Besucher, die Schilder mit dem Hinweis "Privat" geflissentlich übersehen, um keinesfalls ein Postkartenmotiv für die Selfiesammlung auszulassen.

Der Lärm, wenn sich die aus den Bussen strömenden Ankömmlinge unter dem Küchenfenster versammeln, um sich gemeinsam über die fast kitschig schönen Einblicke und Aussichten auszutauschen oder davor, daneben oder dahinter zu posieren. Selbst ein Drohnenverbot hat man schon erlassen, um sich der neugierigen, zuweilen übergriffigen Gäste zu erwehren.

Gut 10.000 Besucher pro Tag kommen in Hochzeiten – früher hatte manch einer eine Drohne im Gepäck. Mittlerweile ist das verboten.
Foto: Robert Newald

Gut 10.000 Besucher pro Tag kommen in Hochzeiten in die 780 Köpfe zählende Gemeinde – so wie jetzt im August, sagt Scheutz. Zwischen 6000 und 8000 sind es an weniger frequentierten Tagen. Teile des Ortes sind zu diesen Zeiten zum Bersten voll. Die Klagen mancher Einheimischer: Die Tagestouristen werden durchgeschleust und konsumieren oder kaufen nichts.

Bürgermeister Scheutz referiert die Zahlen aus dem Stegreif. Er hat sie oft und oft gehört und wiedergegeben: Parkten 2010 noch 3440 Busse auf den bewirtschafteten Plätzen der Gemeinde, waren es im Vorjahr 16.495. Jetzt will man dagegen etwas tun. Zu groß ist der Unmut der Bevölkerung geworden, um ihn zu ignorieren.

Dass man ihn bisher ignoriert hätte, kann man aber auch nicht behaupten. Die Busparkplatzgebühren sind höher als in Salzburg. Für Einheimische gibt es Parkplätze im Ort, alle anderen Fahrzeuge werden seit Jahren von Schranken ausgesperrt. Für WC-Besuche fallen Gebühren an, vor dem Beinhaus in der Michaelskapelle steht eine kleine Hütte, bei der Eintritt kassiert wird.

Beschränkung der Besucherzahlen

"Wir machen schon sehr viel", sagt Scheutz. Doch jetzt soll – um des Friedens willen – eine noch umfassendere Lösung her. Derzeit steckt eine fein austarierte Arbeitsgruppe aus Bevölkerung, Verkehrsplanern und Wirtschaftstreibenden die Köpfe zusammen. "Es ist alles offen, es gibt kein Tabu", sagt Scheutz. Dass er in der Zwickmühle steckt, liegt auf der Hand.

Die Touristen sorgen für Einnahmen. "Dass wir eine Volksschule haben, leistbare Wohnungen, zwei Banken und Essen auf Räder, verdanken wir dem Tourismus." Andererseits nützt das nichts, wenn die Stimmung in der Bevölkerung kippt. Eine der Ideen, die debattiert werden, ist die zahlenmäßige Beschränkung der Touristen. Spätestens im nächsten Frühjahr weiß man mehr. Dann sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Auch Dürnstein in der Wachau wird von Gästen gerne aufgesucht.
Foto: APA/Fohringer

Die Beschränkung der Besucherzahlen ist eine Idee. Andernorts behilft man sich schon lange mit dieser Methode, sagt Karl Born. Der deutsche Wirtschaftswissenschafter war lange Manager in Tourismusbetrieben. Heute lehrt er Tourismusmanagement.

Das Thema "zu viele Touristen" beschert ihm derzeit viele Anfragen – nicht nur von Medien, sondern immer öfter auch von Tourismusmanagern. In immer mehr Gegenden und vor allem in Städten haben Einheimische von den Besuchern genug.

Zählschalter und Benimmregeln

Während Tourismusverantwortliche oft mit Arbeitsplätzen und sprudelnden Einnahmen argumentieren, führen andere etwa die zunehmend via Airbnb und Co vermieteten Wohnungen ins Treffen, die die vielfach ohnehin prekäre Wohnsituation weiter verschärfen. Sie klagen über Verkehrsprobleme und darüber, dass sie nicht mehr Herr im eigenen Haus seien.

In Venedig wird alle paar Jahre eine zahlenmäßige Beschränkung der Besucherströme debattiert, der Bürgermeister von Palma de Mallorca hat Sauftouristen den Kampf angesagt: Seit kurzem gelten restriktivere Vorgaben für Lokale und Benimmregeln für die Feierfreudigen.

In der dalmatischen Hafenstadt Dubrovnik wurde ein Zählschalter eingerichtet, um aus Touristenhorden wieder überschaubare Besuchergruppen zu machen. Auch in der Wachau ist das Thema kürzlich aufgepoppt. Der kürzlich zurückgetretene Bürgermeister von Melk, Thomas Widrich (ÖVP), hat eine Diskussion um Eintrittsgeld für die Wachau losgetreten.

Allerdings: Vom Land Niederösterreich kam dazu ein klares Nein. Auch hier sollen sich erst Experten und Politiker an einen Tisch setzen, um sich zu überlegen, wie man Gäste dazu bringt, nicht nur die Hotspots Melk und Dürnstein anzusteuern.

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Auf den Galapagos-Inseln ist die Zahl der Besucher beschränkt. Ob Prince Charles – hier mit Begleitung – eventuell der Eintritt verwehrt worden wäre, ist nicht bekannt.
Foto: AP

Tourismusexperte Born hält das für richtig. "Ursprünglich haben die Fremdenverkehrsorganisationen alles getan, um die Gäste zu bekommen. Heute schaut man zunehmend auf die Nebenkosten. Die Städte fangen an, eine Gesamtrechnung zu machen."

Doch wann hat eine Stadt oder eine Region genug Touristen? Eine einfache Formel gebe es nicht, sagt Born. Ein untrüglicher Hinweis sei, wenn die Bewohner Alarm schlagen. "Wie derzeit in Berlin. Dort kommen die Menschen mit dem Billigflieger. Feiern am Straßenrand, wohnen in einer Billigputze und hinterlassen jede Menge Müll."

Standardlösungen kann Born nicht empfehlen. Eine Steuerung über den Preis hält er für unfair: "Dann können sich nur noch Reiche das Reisen leisten." Aber für Mengenbeschränkungen gebe es funktionierende Beispiele. "Auf den Galapagosinseln werden schon ewig Karten ausgegeben. Zu den Königsgräbern in Ägypten darf auch nur eine beschränkte Zahl von Menschen." In Ägypten überlegt man bereits, eine Kopie zu bauen. Königsgräber Nummer zwei.

Die Hallstätter dagegen planen kein weiteres Hallstatt neben ihrem ersten, echten.

Noch nicht. (Regina Bruckner, 18.8.2018)