"Resilienz", was bedeutet das genau? Durch eine besondere Art von Widerstandsfähigkeit soll die Stabilität von Systemen durchgehend gewährleistet und optimiert werden. Joseph E. Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger und Professor an der Columbia University, erhofft sich durch widerstandsfähigere Volkswirtschaften ein stabileres weltweites Wirtschaftssystem. Das Thema wird am Forum Alpbach leidenschaftlich aufgenommen, denn die Generation der meist jungen Stipendiatinnen und Stipendiaten durfte die mangelnde Resilienz von Finanzsystemen angesichts mehrerer Wirtschafts- und Finanzkrisen bereits miterleben.

Doch Resilienz wird nicht nur von möglichst leistungsfähigen Wirtschaftssystemen verlangt, sie erlangt auch in unterschiedlichen Bereichen Bedeutung. Infrastruktur beispielsweise braucht Stabilität für eine sichere Versorgung der Bevölkerung mit Rohstoffen, aber auch für ausreichend Transportmöglichkeiten.

Joseph E. Stiglitz
Foto: Europäisches Forum Alpbach/Bogdan Baraghin

Doch ist Resilienz immer wünschenswert? Unabhängigkeitsbestrebungen in unterschiedlichen Regionen Europas etwa lassen sich durch infrastrukturelle Verbindungen nicht leicht realisieren. Im Falle einer Unabhängigkeit bliebe die Stabilität der Versorgung auch aus politischem Kalkül begrenzt. Ob dies für die politische Resilienz der involvierten Staaten zuträglich ist, bleibt eine Frage der Perspektive.

Resilienz in Systemen zu etablieren und zu stabilisieren, bleibt jedoch in den allermeisten Fällen das Ziel, zumindest aus zentraleuropäischer Sicht. Scheitert das Vorhaben jedoch, gleicht dies einem Skandal.

Fehlende Solidarität

"Try again. Fail again. Fail better", heißt es so schön. Doch es scheint, als ob das Scheitern nicht länger als Lernprozess mit möglicherweise positiven Ergebnissen wahrgenommen wird. Im Falle eines Staates, oder auch nur in Teilen dieses, wird Scheitern definitiv nicht von der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert. Als im Jahr 2015 Griechinnen und Griechen monatelang vergeblich auf ausreichend Bargeld oder Medikamente gewartet haben, wurde Disziplin gefordert statt Solidarität gewährt. Dies hält bis heute an. Der Leiter des Münchner Ifo-Instituts, der Ökonom Clemens Fuest, fordert bis heute Marktdisziplin von griechischer Seite, ohne die Solidarität nicht möglich sei. 

Doch nicht nur kollektives, sondern auch individuelles Scheitern wird wenig wertgeschätzt und oft nicht als Chance für Veränderung genutzt. Die Schuld an Arbeitslosigkeit und mangelndem Erfolg im beruflichen Leben wird in Zeiten des Neoliberalismus nicht bei schlechter Wirtschaftspolitik diverser Regierungen gesucht, sondern oft bei den Betroffenen selbst. Diese Entwicklung gipfelte in Deutschland schließlich in der berühmten Agenda 2010 unter der Regierung Schröder. Der ohnehin unangenehme Zustand der Arbeitslosigkeit wird seitdem nicht nur vom sozialen Umfeld sanktioniert, sondern zusätzlich vom Staat selbst.

Große Teile der Bevölkerung stoßen immer mehr an ihre Grenzen, wie auch die steigende Anzahl von Patienten in der Psychotherapie in Österreich zeigt. Die seit 27 Jahren erstmalige Erhöhung der Ausgaben der Kassen für psychotherapeutische Behandlungen kommen laut Expertinnen und Experten viel zu spät und sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Menschen mit niedriger bis mittlerer Ausbildung sind am öftesten von Arbeitslosigkeit betroffen. Mangelnde Resilienz von wirtschaftlichen und politischen Systemen trifft sie daher zuerst und auch sie sind es, die regelmäßig die größte psychische Resilienz beweisen müssen.

Ein Schritt nach rechts

Sucht man die Schuld für fehlenden eigenen Erfolg nicht bei sich selbst sondern seinen Mitmenschen, ist das ein fruchtbares Feld für den Rechtspopulismus. Dieser saugt rassistische Tendenzen in der Bevölkerung auf und nutzt ihn für seine eigenen Interessen. Die jedoch stehen meist nicht in Einklang mit den von schlechter Wirtschaftspolitik gezeichneten Menschen. Rechtspopulismus ist aber keine rein österreichische Symptomatik: Italiens Regierung ruft zur Zählung der Roma und Sinti auf, in Frankreich hat es eine Kandidatin einer rechtspopulistischen Partei in die finale Runde der Präsidentschaftswahl geschafft.

Stiglitz nennt in seiner Eröffnungsrede Diversität als stabilisierenden Faktor für resiliente Gesellschaften und Systeme. Diversität ist jedoch nicht das Hauptinteresse der zuletzt gewählten Regierungen in Europa.

Bundeskanzler Sebastian Kurz wird demnächst das Forum Alpbach besuchen. Obwohl das Thema des Forums "Diversität" nicht die Priorität seines Regierungsprogramms ist, wird ihm das Dorf der Denker vielleicht inspirieren. Wenn nicht, hilft es manchmal Nobelpreisträgern zuzuhören. (Viktoria Ritter, 20.8.2018)