Kriegsgewalt der Perser gegen die Griechen: Ulrich Rasches 15-köpfiger Schauspieler-Chor, bewegt auf großen Drehscheiben.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg – Maschinentheater hat man das Theater des Ulrich Rasche getauft. Aber es ist viel mehr: Es ist Muskel- und Krafttheater, Gleiß- und Nebeltheater, Kopfverdreh- und Überwältigungstheater. Vor allem aber ist es: ein Theater der großen Worte. Jede Silbe wird gedehnt und gestreckt, gezischt und gebrüllt. In einem Rhythmus, der an- und abschwillt und der sich mit solcher Wucht in Mark und Bein bohrt, als säße man nicht in einem Theater sondern bewege sich zu den Beats eines Raves.

"Und morgen gehört uns Griechenland!" skandiert auf der dauerrotierenden vorderen Drehbühne der Chor des persischen Ältestenrats, der im neubarocken Salzburger Landestheater von zwei Schauspielerinnen dargestellt wird. Schwarze Culottes und transparente Oberteile, die Gesichter verzerrt und starr als trügen sie wechselnde Masken des antiken Theaters. Einen Schritt setzen sie vor den anderen, unablässig, im Gleichklang wie eine Armada. Noch ist es das Gebrüll der Siegessicheren, doch bald schon werden sich die ersten Zweifel in die Worte dieser zwei starken Frontfrauen (Katja Bürkle und Valery Tscheplanowa) mischen. Der persische Heerführer Xerxes ist mit seinen 300.000 Mannen nach Griechenland gezogen, um als Held nach Kleinasien zurückzukehren.

Phänomenales Technotheater

Doch statt mit stolz geschwellter Brust wird er mit einigen wenigen Mitstreitern und als zitterndes Häufchen Elend in die Heimat wiederkehren. Einer, der an seiner Hybris und seinem Hochmut zerschellt ist. Davon erzählt der Grieche Aischylos in der ältesten überlieferten Tragödie der westlichen Dramengeschichte (472 v. Chr.). In Durs Grünbeins Übersetzung, die in Salzburg zum Einsatz kommt, sind es gerade einmal einige Dutzend Buchseiten. In Rasches phänomenalem Technotheater dauert der Abgesang auf den Niedergang des gegnerischen Weltreichs beinahe vier Stunden. Unterbrochen von einer Pause, die man sich hätte sparen können. Bei einem Untergang kann man nicht einfach mal schnell Luft holen gehen. Vor allem nicht, wenn ein Luftverweigerer wie Rasche am Werk ist.

Starke Frontfrauen: Patrycia Ziolkowska, Katja Bürkle und Valery Tscheplanowa (v. li.).
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Der Regisseur ist der stramme Chorführer des deutschsprachigen Theaters. Seit Einar Schleef hat niemand mehr solch machtvolle, den Atem raubende Chöre auf die Bühne gebracht und damit der Masse ein Gesicht gegeben. Das ist durchaus auch politisch zu verstehen. Die drei von glänzendem Matsch beschmierten Krieger auf Rasches zweiter Drehbühne, die sich im Hintergrund wie ein Tagada in schwindelerregende Höhe dreht, sind nur die Vorboten. "Reiß dich zusammen, auch wenn du stöhnst vor Schmerzen", versucht sich Königsmutter Atossa (Patrycia Ziolkowska) zu beruhigen. Noch ist es nur ein Bruchteil einer Emotion, die dieser hervorragenden Schauspielerin mit weit aufgerissenen Augen und halb gekrümmten Rücken entfährt.

Livekameras

Noch weiß sie nichts von der Angst und dem Schrecken des untergegangenen Heeres, das in der eindrucksvollsten Szene des Abend in Gestalt von 15 Mannen im Stechschritt über die Schräge der Drehscheibe stapft. Während die drei abwägenden, das Schicksal befragenden Frauen die vordere Drehbühne der auch von Rasche entworfenen Bühne bevölkern, ist die hintere den marodierenden Männern vorbehalten. Sie ist Exerzierfeld und Schlachtplatz, hier wird die Schlacht von Salamis berichtet und beschrieen, durchlebt und durchlitten. An Seilen hängen die Krieger in ihren Lendenschurzen, marschieren mit- und gegeneinander, begleitet von Livekameras, während Spela Mastnak die Schläge immer schneller setzt und sich die Sirenengesänge von Guillaume Francois und Arturas Miknaitis immer höher schrauben.

Eindrücke von der Premiere
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Das Wort wird an diesem Abend zu Musik. Die fünf Musiker, die in den Proszeniumlogen und im seitlichen Parkett sitzen, untermalen jedes einzelne mit ihren unablässig hämmernden, sirrenden, rauschenden und dabei in ihrem Minimalismus doch so variantenreichen Klängen. Es ist ein großer Tragödienrap, wo der Klang zu Bedeutung wird und Bedeutung zu Klang.

Die Feuersbrunst des Krieges im Rücken: Der tote König Dareios (Valery Tscheplanowa) erscheint.
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Als wollte Rasche die Aristotelische Definition von Katharsis als Jammer und Schrecken für die Jetztzeit neu interpretieren. Theaterhistoriker mögen es als Rückgriff auf das Techniktheater des Erwin Piscator interpretieren, Tanzkenner auf die Choreografien der Pina Bausch: Wirklich bedeutsam ist dabei nur, dass Ulrich Rasche originären Stil für sich selbst stehen kann und dem ironiesatten Ton der heutigen Bühnen einen Kontrapunkt entgegensetzt. Nicht von ungefähr soll ein anderer Kraftkünstler, der designierte Burgchef Martin Kusej, in Gesprächen mit Rasche bezüglich einer Verpflichtung am Burgtheater sein.

Überwältigungstheater

Der Abend zeigt aber auch wo die Gefahren dieser Art von Überwältigungstheater liegen. Aus der Choristin Valery Tscheplanowa wird nach der Pause der verstorbene Königsvater Dareios, der barbusig und mit weißer Farbe überschüttet den Hochmut seines Sohnes anprangert. Die Balance zwischen Stärke und Pathos, Melodie und Deklamation, die Rasche so wunderbar beherrscht, gerät jetzt in eine Schieflage, und das in jenem Moment, in der Aischylos zum Propagandaschreiber der Griechen mutiert.

Der Männerchor, Darsteller der Boten und der Armee des Xerxes.
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Das Umwerfende an den Persern ist ja, dass der älteste der antiken Tragödienschreiber die Schlacht von Salamis aus der Perspektive der Unterlegenen, der Perser, darstellt – ohne dabei ein Triumphgeheul anzustimmen. Auf die Lobpreisung der Griechen will er dann aber doch nicht verzichten – das war er seinen Zuschauern bei den großen Dionysien schuldig. Der bodenlose Fall des Xerxes versteht sich allerdings auch als Mahnung an die Sieger vor Selbstüberschätzung und Respektlosigkeit vor der fremden Kultur. Bei Rasche wird das Stück zur Auseinandersetzung mit der Macht der Masse und der Macht des Einzelnen. Und natürlich von Mann und Frau.

Nacktes Elend

Als nacktes Elend schleppt sich Xerxes (Johannes Nussbaum) am Ende zurück in seine Heimat. Im gleißenden gelben Gegenlicht steht er da im Lichtkreis vor seiner um Güte ringenden Mutter. Wie Sklaven hängen die Mannen jetzt an ihren Fesseln. Nackt bis auf verdreckte Jockstraps und ramponierte Harnesse. Noch einmal stimmen sie eine ohrenbetäubende, markerschütternde Klage an. "Oh weh!" Ein großartiges Ende für einen richtig großen Abend. (Stephan Hilpold, 19.8.2018)