Erle C. Ellis, "Anthropocene – A Very Short Introduction". € 8,22 / 183 Seiten. Oxford University Press, Oxford 2018

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Erle C. Ellis ist Professor für Geographie und Umweltsysteme an der Universität Maryland in Baltimore.

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Keinem anderen Erdzeitalter sind derartig viele Bücher gewidmet wie dem Anthropozän – und das, obwohl noch gar nicht feststeht, ob es tatsächlich als Erdzeitalter anerkannt werden wird. Der US-Geologe Erle C. Ellis hat nun einen kompakten Überblick über die wissenschaftlichen Fakten zur Anthropozän-Debatte vorgelegt, der heuer bei Oxford University Press (OUP) erschienen ist.

In der OUP-Reihe "A Very Short Introduction" sind bereits über 500 Einführungen zu diversen Themen von Adoleszenz bis Zionismus erschienen, die in mehr als 45 Sprachen übersetzt worden sind. Ein Experte des Gebiets wird jeweils damit beauftragt, ein Thema möglichst kompakt, umfassend und allgemein verständlich vorzustellen. Genau das gelingt im jüngsten englischen Neuzugang über das Anthropozän meisterhaft.

Der Autor Erle C. Ellis ist Professor für Geographie und Umweltsysteme an der Universität Maryland in Baltimore. Als Mitglied der Anthropocene Working Group der Internationalen Kommission für Stratigraphie sitzt er an der Quelle, was den aktuellen Stand der Forschung über das Erdzeitalter des Menschen und die Voraussetzungen für seine offizielle Einführung angeht.

Wie alles begonnen hat

Die Debatten um das Anthropozän beginnen schon damit, wann es überhaupt begonnen hat. Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren ist Leben auf der Erde entstanden, vor rund 480 Millionen Jahren haben Lebewesen das Wasser verlassen und Land besiedelt. Die ersten Säugetiere haben sich vor rund 200 Millionen Jahren herausgebildet, die erste Homo-Spezies gerade einmal vor 2,8 Millionen Jahren. Doch ab wann hat der Mensch einen derartigen Einfluss auf den Planeten genommen, um als prägender Faktor des aktuellen Erdzeitalters hervorzugehen?

Auf den ersten Blick kommen dafür etwa die Sesshaftwerdung des Menschen oder die Industrielle Revolution in Frage. Aus Sicht der Geologen muss allerdings jedes Erdzeitalter mit einer charakteristischen Ablagerung in den Gesteinsschichten der Erde verbunden sein. Von diesem Gesichtspunkt aus gibt es nur einen verlässlichen Marker für das Anthropozän: Radioaktive Teilchen, die bei Atombombentests ab 1945 freigesetzt worden sind. "Geologen, die sich auf die Erforschung dieser Schichten, genannt Strata, spezialisieren, sind die Wächter der geologischen Zeitskalen", schreibt Ellis. "Es ist daher die Scientific Community der Stratigraphen, die letztlich über das Schicksal des Anthropozäns als Intervall der Erdgeschichte entscheiden wird."

Die Große Beschleunigung

Der globale Wendepunkt Mitte des 20. Jahrhunderts, mit dem der Beginn des Anthropozäns zusammenfallen würde, ist auch als die Große Beschleunigung bekannt. Die Bezeichnung erfolgte in Anlehnung an das epochale Werk "The Great Transformation" des ungarisch-österreichischen Wirtschaftssoziologen Karl Polanyi. Darin beschreibt er die tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen durch die Industrialisierung.

Die Epoche der Großen Beschleunigung zeichnet sich durch mehrere Faktoren aus, die unmittelbar mit dem Menschen zusammenhängen: beispielsweise globaler Temperaturanstieg, gesteigerter Ressourcenverbrauch, Zunahme an Treibhausgas-Emissionen oder Artensterben. Genau diese Faktoren sind die Kenngrößen, mit denen sich beziffern lässt, wie der Mensch den Planeten Erde prägt.

Zeitalter des Cthulhu-Mythos

Ellis setzt sich in seiner Einführung in das Anthropozän allerdings auch mit den Kritikern des Vorschlags, das aktuelle Erdzeitalter nach dem Menschen zu benennen, auseinander. Da wäre etwa der Vorschlag des Kapitalozäns. Demnach verändern nicht alle Menschen den Planeten gleichermaßen, sondern es sind die Kräfte das Kapitalismus, die das Erdgeschehen lenken.

Den sogenannten Cthulhu-Mythos des Autors H. P. Lovecraft bedient wiederum die feministische Theoretikerin Donna Haraway, um ihren Gegenvorschlag zum Anthropozän zu untermauern. Ellis schreibt darüber: "Für Haraway und viele Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften liegt bereits in der Fokussierung auf den Menschen im Anthropozän der Fehler begraben." Der mystische, kosmische, Gott-gleiche Cthulhu symbolisiert für Haraway, die Verschränkung und Verbindungen zwischen Individuen und den Spezies. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Tier oder Mensch und Maschine. So steht im Chthuluzän nicht der Mensch im Zentrum, sondern andere Arten und Kreaturen, sowie ihre vielschichtigen Verwandtschaften.

Freilich muss in der kompakten Einführung auch der eine oder andere Aspekt dieses breiten Feldes unterbelichtet bleiben. Womit sich Ellis die Finger nicht schmutzig machen wollte, sind politische Handlungsanweisungen oder die Kritik an Fehlentscheidungen. Denn auch wenn das Anthropozän noch nicht offiziell beschlossen ist, so ist es längst an der Zeit, entsprechende politische Handlungen zu setzen, um den Klimawandel nicht weiter zu beschleunigen. (Tanja Traxler, 20.8.2018)