Das Problem an der Rede von den "einfachen Leuten" ist der Beiklang: Wer von den "einfachen Leuten" spricht, der behauptet implizit, dass er nicht dazugehört. Ja, mehr noch: dass er vom Leben dieser einfachen Leute gar keine Ahnung hat. Schon als Phrase eine Distanzierung, hart an der Grenze zur Herablassung. Nun kann man sich die Frage stellen, ob es eine Normalität, die die Rede von den "einfachen Leuten" unterstellt, heute überhaupt noch gibt – die "Normalität" ist heute doch so buntscheckig und vielgestaltig, dass schon das Konzept der Normalität fragwürdig ist.

Aber die Phrase von den "einfachen Leuten" meint etwas anderes: jene, die nicht mit goldenen Löffeln geboren sind. Jene, die ihr Leben meistern und fest in diesem stehen, jenseits der Verzärteltheiten der Upper Classes. Jene, die nicht irgendwelchen großspurigen Flausen eingebildeter Besonderheit anhängen. Im Begriff von den "einfachen Leuten" steckt von jeher schon auch ein Stolz, ein popularer Stolz, ein rebellischer Stolz gegenüber denen, die sich als etwas Besseres vorkommen. Wie konnte es also dazu kommen, dass man überhaupt den Gedanken fassen kann, in diesem Begriff stecke eine herablassende Distanzierung? Weil wir in einer Welt leben, in der es unschick geworden ist, sich als "normal" zu bezeichnen, wo niemand Durchschnitt, jeder etwas Besonderes sein will. Und in der das Leben der "einfachen Leute" als uninteressant abgewertet wird.

Früher wollte man Teil der "einfachen Leute" sein, heute will man ihnen nur ja nicht zugerechnet werden. Aber wer sind die einfachen Leute? Welche Leben führen sie? In welchen Gedankenwelten? Und was sind ihre Gerechtigkeitsempfindungen? (Robert Misik, 19.8.2018)