Zwei Wiener Polizisten wird die Misshandlung einer Obdachlosen vorgeworfen. Einer soll zugeschlagen, der andere weggeschaut haben.

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Wien – Im Februar 2018 rief eine Betreuerin eines Notquartiers für Obdachlose der Volkshilfe in Wien-Donaustadt die Polizei. Sie war überfordert mit dem Umgang einer Klientin und erhoffte sich Hilfe durch die Beamten. Zwei Polizisten trafen kurz vor fünf Uhr morgens in dem Nachtquartier ein.

Die Betreuerin erhebt schwere Vorwürfe wegen des Verhaltens der Polizisten: "Schon als die Beamten die Türe betreten haben, haben sie sich darüber beschwert, dass sie überhaupt herkommen müssen", heißt es in der offiziellen Beschwerde an entsprechende Stellen der Wiener Polizei, die dem STANDARD vorliegt. "Mir wurde gesagt, ich solle sie (die Klientin, Anm.) selbst 'rausstellen'", schreibt die Volkshilfe-Betreuerin.

Mit Kleidungsstück geschlagen

Was dann passierte, ist von einer Überwachungskamera des Quartiers dokumentiert, deren Aufzeichnung auch von der Polizei sichergestellt wurde: Ein Beamter schlug die obdachlose Frau. Laut der Betreuerin war es ein Schlag ins Gesicht. Die Staatsanwaltschaft spricht gegenüber dem STANDARD von einem "leichten Schlag gegen den Hinterkopf".

Drei Minuten später nahm der Beamte ein Kleidungsstück und schlug die Klientin damit erneut. Er habe "voll ausgeholt und 'durchgezogen'" und die Klientin damit "mehr als hart" getroffen, schreibt die Zeugin in ihrer Beschwerde. Der "Schlag gegen den Körper mit einem Kleidungsstück" wird von der Staatsanwaltschaft bestätigt.

Die Frau sei ruhig auf ihrem Sessel gesessen und nicht aggressiv gewesen, hält die Beschwerdeführerin fest. Auf den Vorwurf, das sei Polizeigewalt, soll der Beamte erwidert haben: "Ja, was soll man auch anderes tun in so einem Fall, ich habe nichts getan." Der zweite Beamte schritt demnach nicht ein. Es sei "ethisch nicht vertretbar" gewesen, die Klientin nach den Vorfällen mit den Beamten mitzuschicken, heißt es in der Beschwerde.

Vorläufige Suspendierung beider Beamter aufgehoben

Noch am 22. Februar, dem Tag des Vorfalls, langte um 6.41 Uhr die Beschwerde auf offiziellem Weg bei der Wiener Landespolizeidirektion ein. Exakt drei Stunden später wurde das Referat für besondere Ermittlungen mit dem Fall betraut. Am Tag darauf wurde der Fall auch dem Innenministerium bekannt. Das geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper durch Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hervor.

Ebenfalls am Tag nach dem Vorfall wurden beide Beamte vorläufig vom Dienst suspendiert, drei Tage später wurde Disziplinaranzeige gegen sie erstattet. Einen Monat später wurde die Suspendierung eines Beamten aufgehoben. Im Juni fand eine mündliche Disziplinarverhandlung gegen beide Beschuldigte statt, im Zuge derer auch die Suspendierung des zweiten Beamten aufgehoben wurde. Zunächst war nicht bekannt, ob es abseits der vorläufigen Suspendierung zu Konsequenzen gekommen ist. Von der Landespolizeidirektion Wien war bis dato keine Stellungnahme zu erhalten.

Das Innenministerium teilte inzwischen mit, dass ein Beamter als Disziplinarstrafe eine Geldbuße erhielt (eine Strafzahlung bis zu einem halben Monatsbezug), der andere eine Geldstrafe (ein bis fünf Monatsbezüge). Wer welche Strafe erhielt, könne aus "datenschutzrechtlichen Gründen" nicht genannt werden. Beide befinden sich nach wie vor im Polizeidienst.

Staatsanwaltschaft stellte Verfahren umgehend ein

Der Staatsanwaltschaft wurde am Tag nach dem Vorfall vom Referat für besondere Ermittlungen ein Anlassbericht zu dem Vorfall übermittelt. Noch am selben Tag stellte diese das Verfahren gegen jenen Beamten ein, der die Klientin geschlagen hatte.

Einen knappen Monat später sah die Staatsanwaltschaft auch "von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den anderen Beamten ab". Die Verzögerung um einen Monat gegenüber dem anderen Kollegen begründete die Staatsanwaltschaft mit "internen Gründen".

Keine Einvernahme

Die Beamten seien "nicht niederschriftlich" einvernommen worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Das Opfer konnte nicht ausgeforscht werden. Gegen beide Beamte lagen außerdem laut Innenministerium weitere "je zwei nahezu 20 bzw. mehr als 20 Jahre zurückliegende Misshandlungsvorwürfe vor, die jedoch jeweils von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurden".

Neos-Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper kritisiert die Vorgänge. "Unsere Sicherheitsbeamten üben ihre Tätigkeit in der Regel gewissenhaft aus. Wenn es aber zu unverhältnismäßiger Polizeigewalt kommt, dann ist es für die Opfer, das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat und auch für alle engagierten Polizisten äußerst wichtig, dass die Täter eine angemessene Strafe erfahren", sagt Krisper.

Verurteilung in anderem Fall im Juni

Erst im Juni fand ein Prozess gegen einen Wiener Polizisten statt, der einen Obdachlosen in einer Unterkunft in Penzing geohrfeigt hatte. In diesem Fall erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Körperverletzung, der Mann wurde zu fünf Monaten bedingt verurteilt. Zwei Beamte, die nichts gegen die Handlungen unternommen und sie später auch nicht gemeldet hatten, wurden wegen Missbrauchs der Amtsgewalt durch Unterlassung angeklagt. Diese Verfahren wurden diversionell erledigt. Die Staatsanwaltschaft sieht den damaligen und den aktuellen Fall unterschiedlich gelagert, teilt eine Sprecherin dem STANDARD mit.

"Die wenigen Fälle, die öffentlich werden, zeigen, dass im Verfahren der Exekutive einiges im Argen liegt. Und in der vorliegenden Sache sieht man, dass die Staatsanwaltschaft nicht immer gleich agiert. Hier muss es im Sinne des Rechtsstaates dringend zu Verbesserungen kommen", sagt Krisper.

Immer wieder wird kritisiert, dass Fälle von Misshandlung durch Polizeibeamte selten vor Gericht landen und verurteilt werden. Experten fordern außerdem, dass Misshandlungsvorwürfe nicht polizeiintern, sondern von einem unabhängigen Gremium untersucht werden. 2016 verzeichneten die Staatsanwaltschaften laut Sicherheitsbericht bundesweit 495 angefangene Fälle im Zusammenhang mit Misshandlungsvorwürfen gegen Organe der Sicherheitsbehörden. In 18 Fällen kam es zu einem Strafantrag oder einer Anklage. (Vanessa Gaigg, 20.8.2018)