Wien – Gerade hat man sich gefragt, ob die Geschichte um eine etwas einsame, nicht mehr ganz junge Gerichtsmedizinerin und ihre lang verschütteten Traumata nicht arg soapig ist, da fällt dieser schön selbstreferenzielle Satz: "Mir kommt das wie eine Seifenoper vor: Zwillinge, das Waisenhaus ... ". In diesem Moment wird klar, dass der türkisch-italienische Regisseur Ferzan Özpetek mit seiner halbgaren Mischung aus Erotikthriller, Mystery und Doppelgängerfilm wohl etwas anderes im Sinn gehabt haben muss.

Vielleicht eine fellinieske Version eines Brian-de-Palma-Pastiches? Was auch immer verfehlt wurde: In Italien feiert Das Geheimnis von Neapel große Erfolge an den Kinokassen.

Giovanna Mezzogiorno als Adriana, die sich in "Das Geheimnis von Neapel" in ein fellinieskes Verwirrspiel verstrickt.
Foto: polyfilm

Der Film erzählt von Adriana (Giovanna Mezzogiorno), die nach einer rauschhaften Liebesnacht ihrer neuen, wesentlich jüngeren Bekanntschaft einerseits auf dem Seziertisch wiederbegegnet und andererseits in Gestalt seines kurz darauf auftauchenden Zwillingsbruders. Der hübsche Mann, dem man noch lebend die Augäpfel herausriss, soll in einen kriminellen Ring verwickelt gewesen sein, der mit antiken Fundstücken handelte. Auf Adrianas Badezimmerspiegel hinterließ er geheimnisvolle Zahlen. Ein sympathischer und der Gerichtsmedizinerin zugewandter Polizist ermittelt und tritt bald in Konkurrenz zu dem immer psychopathischer auftretenden Zwillingsbruder, den Adriana in ihrer Wohnung versteckt. Eine Wahrsagerin spricht mit fremder Zunge. Enthüllungen über die tragisch verstorbenen Eltern kommen ans Licht.

Polierte Glätte

Özpeteks Neapel ist nicht das Ferrante-Neapel der engen, verarmten Arbeitervororte. Es ist das Neapel der antiken Kunstschätze, der prachtvollen Architekturen und bürgerlichen Lebensweisen; gedreht wurde u. a. in einem alten Haus, das schon Vittorio De Sica und Roberto Rossellini als Kulisse diente. Die üppigen, oft in schummriges gelbes Licht getauchten Aufnahmen verströmen eine Noir-Atmosphäre, doch ihre polierte Glätte hat nichts von der Dekadenz eines Sorrentino (oder der Opernhaftigkeit Argentos).

Trailer zu "Das Geheimnis von Neapel".
Polyfilm Verleih

Meist kippt sie in die gediegene Bildsprache des "Italienkrimis". Dass die Genreversatzstücke zusammen nicht recht zünden, stört dabei weniger als ihr allzu zaghafter Einsatz. Zwillinge in Thrillern gehen eigentlich immer gut, aber nachdem François Ozon zuletzt mit Der andere Liebhaber die Latte hoch gelegt hat, kann die Konstellation hier kaum überraschen.

Es gibt dennoch Momente, in denen sich der Film für eine gewisse Exzentrik öffnet: etwa in Gesprächen "über schwulen Mozzarella" oder im Blick auf die Bizarrheiten lokaler Folklore. Adriana und ihr Liebhaber begegnen einander nämlich bei der Vorführung einer "figliata", eines archaischen, tief in der neapolitanischen Kultur der "femminielli" verwurzelten Ritus. Hinter einem nahezu transparenten Stofftuch wird die Geburt Jesu von Männern in Frauenkleidern nachgestellt, was wirklich ein merkwürdiger und selten entrückter Anblick ist. (Esther Buss, 21.8.2018)