Die US-Band Low besteht seit mittlerweile 25 Jahren. Sie geht es nicht nur karrieretechnisch unaufgeregt und langsam an. Auch musikalisch hat sich das Trio aus Duluth, Minnesota, dazu entschieden, nicht etwa ordentlich auf die Tube zu drücken, sondern den besonders in ländlichen Gebieten nachts aus Angst vor der Verkehrskontrolle beliebten Schleichweg nach Hause zu nehmen.

So ein Schleichweg bietet natürlich oft unerwartete Überraschungen. Schlecht beleuchtet ist zum Beispiel mit überraschendem Wildwechsel zu rechnen beziehungsweise mit aus der Gegenrichtung in die andere Richtung heimwärts schlingerndem Gegenverkehr. Der hat blöderweise vergessen, die Scheinwerfer einzuschalten. Von der Funkstreife, die den Schleichweg bestens kennt, einmal ganz zu schweigen.

Mitglieder der Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, die man gemeinhin als Mormonen kennt, dürfen allerdings offiziell ohnehin weder Alkohol, Drogen noch Zigaretten und auch nicht Tee und Kaffee konsumieren. Von Vorbehalten gegen voreheliche und gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie von einer gewissen Sympathie für alternative Wahrheiten, die White Majority und die Republikanische Partei ein anderes Mal. Low bewegen sich in diesem Milieu als durchaus kritisch-solidarische Mitglieder mit einigen kritischen Vorbehalten gegenüber Mutter Kirche.

Das Bestreben des Ehepaars Mimi Parker und Alan Sparhawk an Mikrofon, Schlagzeug und Gitarre sowie des seit Jugendtagen zum Familienkreis zählenden Bassisten Steve Garrington, auf dunklen, schmalen Wegen zu wandeln, dürfte eher in der Hoffnung begründet liegen, abseits der Hauptverkehrsadern auf unerwartete Dinge zu stoßen und natürlich auch die Dunkelheit zu erforschen. Der Satz "Und erlöse uns von dem Bösen" kommt ja nicht von ungefähr. Vorher muss man es dafür mit dem Schattseitigen zu tun bekommen.

Offizielles Video zu "Dancing and Blood".
Sub Pop

Da Low unter anderem an genrebedingte Bilder wie die Erlösung, den Weg zum Licht und das reinigende Feuer glauben (historisch gesehen ist Letzteres tatsächlich eine im Christentum oft wörtlich ausgeübte Grausamkeit gewesen), tauchen auch auf dem neuen Album Double Negative solche Bilder auf.

Die Lieder des Albums schleichen gewohnt langsam durch die Nacht. Thematisch dreht sich alles um eine möglicherweise von Gott verlassene Nation – spätestens seit der letzten US-Wahl. Deren Teilung in zwei Lager durch doppelten Negativismus, zweifache Verneinung, gegenseitige Schlechtmacherei führt nicht etwa zu etwas Gutem und Bejahendem. Schlecht plus schlecht ergibt am Ende einfach nur: mehr schlecht als recht.

Mimi Parker und Alan Sparhawk müssen dabei als nach wie vor mit himmlischem Harmoniegesang gegen die dunklen Mächte ankämpfendes Duo heute nicht länger eingedenk Neil Youngs in seiner depressiven Phase von Tonight's the Night Anfang der 1970er-Jahre die Saiten kratzen und die Trommeln mit dem Besen streicheln.

"Fly" vom neuen Low-Album "Double Negative".
Sub Pop

Songs wie Quorum, Dancing and Blood, Disarray oder Fly vertrauen 2018 nicht auf das Format einer schlanken wie faulen Rockband klassischen Zuschnitts. Gemeinsam mit dem Produzenten B. J. Burton, der schon 2015 bei Ones and Sixes für Low als Produzent auftrat, ebenso wie er für den Dubstep-Songwriter James Blake dessen erdschwere Bässe und weltliche Gospelsongs mit Autotune-Effekt produzierte, versucht man sich an Ungewöhnlicherem.

Biblische Plagen

Durch ein wenig entschleunigte Arbeit am Rande der existenziellen Erschöpfung und einer Herzfrequenz, die auf Leistungssportler oder Schildkröte schließen lässt, bewegen sich Parker und Sparhawk – bei gelegentlichem Zupfen einer Basssaite, die sich in der Magengrube bemerkbar macht – dieses Mal vor allem am Rande einer Songstruktur durch das irdische Jammertal. Rhythmisch setzt man verstärkt auf Stimmloops und Noise-Schlieren. Sie ersetzen das altgewohnte Schlagzeug. Körnige Knuspergeräusche, biblisch plagende Heuschreckenklänge, das Tosen der Sündenflut und Stürme über dem Kirchendach sorgen für atmosphärische Aufladung.

Irgendwann einmal ertönt dann sogar ein auf dem Mischpult arrangierter Einmannchor, der an Philip Glass und seinen Soundtrack zu Koyaanisqatsi erinnert. Das ist ein Wort der Hopi-Indianer und steht für "unausgeglichenes Leben". Gute Zeiten für traurige Lieder. Vergelts Gott. (Christian Schachinger, 21.8.2018)