Der 31-jährige Peter Kraus sitzt seit der Wien-Wahl im Jahr 2015 im Gemeinderat.

Foto: Alexander Schwarzl

Wien – Sieht man genau hin, während Peter Kraus spricht, erkennt man unter seinem Mund ein kleines Loch. Sein Lippenpiercing hat der Grüne entfernt, der Bart ist gestutzt, und die Haare sind kürzer. Seit Kraus im Jahr 2015 bei der Wien-Wahl als Jugendkandidat der Wiener Grünen angetreten ist und den Sprung in den Gemeinderat geschafft hat, ist er erwachsener geworden. Seinem Stil blieb er treu. Er hat meist ein dunkles T-Shirt an – ist er aber im Rathaus, trägt er darüber ein Sakko. Das Auftreten des 31-Jährigen ist anders, als man es von jungen Grünen im Nationalrat gewohnt ist. Kein Kapuzenpulli, keine immer fröhliche Miene. Er ist bedacht, ruhig, aber wirkt etwas nervös.

Am Sonntag hatte Kraus seine Kandidatur für den Spitzenplatz auf der Liste der Wiener Grünen bei der Wahl 2020 angekündigt, am Dienstagabend startete er seine Kampagne für den internen Wahlkampf der Grünen. "Die Überlegung war immer wieder in meinem Kopf", sagt Kraus. Beschleunigt wurde die Entscheidung im Jahr 2016: "Mit Donald Trump als US-Präsident habe ich mich gefragt: Was passiert mit dieser Welt gerade?" Mit dem Ausscheiden der Grünen aus dem Nationalrat im vergangenen Herbst habe er gemerkt, dass "das, was wir als linke progressive Parteien tun, nicht mehr reicht".

Entscheidung im Sommer

Auch in Wien sei das, was Rot-Grün tue, nicht mehr genug. "Wir müssen besser werden", befand Kraus und schrieb ein Buch. Unter dem Titel "I Do Care" – in Anlehnung an Melania Trumps Jacke mit dem Spruch "I really don’t care" – entstand eine Art politisches Manifest. Im Sommer war er zehn Tage mit Freunden weg, erzählt er, habe das Handy ausgeschaltet und sei mit sich allein gewesen. Hier sei die Entscheidung gefallen. "Es ist eine Bequemlichkeitshaltung entstanden. Vielleicht aus der Tatsache heraus, dass wir eine gemütliche Mehrheit in der Stadt haben und regiert haben. Progressive Politik ist nie konservativ und darf sich nicht auf dem Status quo ausruhen", kritisiert er.

In den vergangenen Jahren hätten sich Themen aufgetan, wo grüne Politik wieder "auf die Höhe der Zeit gebracht" werden müsse, sagt Kraus und spricht von der Digitalisierung der Arbeitswelt und von Klimaschutz. "Es stellen sich andere Fragen als vor 18 Jahren. Die Auswirkungen sind heute viel spürbarer." Im Parteiprogramm aus dem Jahr 2001 komme "das Wort 'Online' gar nicht vor, man hat das Gefühl, es ist aus einer anderen Zeit".

Hoffnung bei den Grünen

Aufgewachsen in dem kleinen Ort Pottschach im südlichen Niederösterreich, packte Kraus mit 18 Jahren seine Sachen und zog nach Wien – in ein Wohngemeinschaftszimmer mit acht Quadratmetern, erinnert er sich. Nach seinem Zivildienst bei der Lebenshilfe spazierte er 2006 in das Lokal der Grünen Brigittenau. "Die Hoffnung und Vorfreude auf das, was Wien ist, ist wahrscheinlich der Grund, weshalb ich bei den Grünen aktiv geworden bin", sagt er. Es habe sich um eine Zeit gehandelt, als die SPÖ noch nicht einmal für die Öffnung der Ehe gewesen sei. "Die Grünen haben den Anspruch an eine Weltstadt für mich verkörpert."

Bei der darauffolgenden Wahl 2010 wurde er Bezirksrat, zog mit Maria Vassilakou ins Büro der Vizebürgermeisterin und wurde Büroleiter. "Geplant war es nicht, dass ich in die Politik gehe", sagt Kraus. Er wollte nach dem Sozioökonomie-Studium an der Uni oder im wirtschaftlichen Bereich bleiben.

Bei der Landesversammlung im Juni wurden schließlich die Weichen für Kraus’ Kandidatur gelegt. Ein neuer Modus zur Bestimmung der Wahllisten, bei dem sich alle – auch Nichtmitglieder – bewerben können, soll für mehr Offenheit sorgen. "Es ist gut, dass es erstmals eine Wahl gibt und nicht nur die gleichen paar Leute bei der Landesversammlung es entscheiden", befindet Kraus, der selbst auf die Öffnung der Partei gedrängt hatte.

Sollte Kraus den Wahlprozess gewinnen und als Spitzenkandidat der Grünen in die Wien-Wahl gehen, will er auch Vizebürgermeister werden. "Wir müssen aufhören, halbmutige Antworten zu geben, und beginnen, fundamentale Lösungen zu präsentieren." Das bedeute für Kraus, nicht über einzelne Radwege zu diskutieren, sondern ein verkehrs- und stadtplanerisches Gesamtkonzept zu entwickeln. "Wir brauchen größere Visionen, etwa als Stadt bis 2030 CO2-neutral zu werden."

Netzwerker, Hackler, Protegé

Kraus gilt als gut vernetzt innerhalb der Partei, er sei ein Hackler, wird oft als Protegé von Vassilakou bezeichnet. "Ich habe niemanden gefragt, ob ich kandidieren darf", beantwortet Kraus die Frage, ob er seinen Antritt mit Vassilakou besprochen habe. Trotzdem lässt Kraus’ Kandidatur vermuten, dass Vassilakou nicht mehr in den Ring steigen wird. Auch in der Partei gehen viele davon aus, dass sich Vassilakou nach den Querelen des vergangenen Frühjahrs zurückziehen wird.

Gegenwind erhielt Vassilakou damals aus der Inneren Stadt und von Gegnern des Heumarkt-Projekts. In einer Urabstimmung entschieden sich die Grünen knapp gegen das Projekt samt Luxusturm. Der grüne Klub sicherte im Rathaus die Mehrheit für das Projekt. Kraus steht auch heute hinter der Entscheidung, das Bauvorhaben unterstützt zu haben.

Wohl weitere Kandidaten

Konkurrenz wird Kraus noch bekommen. Rathausklubchef David Ellensohn will sich frühestens am Mittwoch deklarieren, die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 4. September. Auch Bundesrätin Ewa Dziedzic, die Frauensprecherin der Wiener Grünen, überlegt eine Kandidatur für die Spitzenposition und will in den nächsten Tagen eine Entscheidung fällen. (Oona Kroisleitner, 22.8.2018)