Quo vadis, Wien?

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Die Grünen in Wien sortieren sich gerade. Am Ende wird ein Spitzenkandidat für die Gemeinderatswahl (wahrscheinlich 2019) stehen, der über relativ geringe Bekanntheit verfügt und daher Mühe haben wird, über die Klientel der Grünen hinaus Wählerschichten zu erschließen. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass sie auch in Wien rausfliegen, allerdings gibt es da doch ein solides grünes Milieu.

Die Neos haben in Wien einen neuen, völlig unbekannten Klubobmann, der vielleicht auch Spitzenkandidat werden wird, sich aber bereits in den Fuß geschossen hat. Christoph Wiederkehr meint, er könne sich vorstellen, mit Türkis und Blau den roten Bürgermeister abzuwählen ("Erbpacht beseitigen") und einen unabhängigen Bürgermeister zu installieren. Aber man werde um Gottes willen keine formale Koalition mit der rechtsextremen FPÖ eingehen. Bundeschefin Beate Meinl-Reisinger pflichtete dem in ihrem sonst recht gelungenen "Sommergespräch" bei. Wie das in der realen Welt gehen soll? Wenn die FPÖ für einen Kandidaten stimmen soll, dann wird sie daran Bedingungen knüpfen, und die werden so rechts sein wie nur. Und mit welcher Mehrheit soll der Unabhängige dann regieren? Der Effekt dieser naiven Aussage ist in den STANDARD-Foren bereits merkbar: Wenn die mit Türkis und Blau gehen, sind sie für mich gestorben, schreiben liberale Poster. Die Neos leben davon, dass bürgerliche Wähler eine Alternative zum Rechtsruck der ÖVP und schon gar zur FPÖ haben wollen.

Personelles Dilemma

Die FPÖ selbst ist auch in einem gewissen personellen Dilemma. Strache, bisher immer Bürgermeisterkandidat, ist jetzt Vizekanzler. Von der Papierform her wäre Johann Gudenus Kandidat. Der ist zwar rechtsextrem, aber kein wirklicher Publikumsmagnet. Allerdings kann die FPÖ in Wien bereits auf einen soliden Stock an Wurscht-was-Hauptsache-gegen-Ausländer-Wähler zählen.

Die SPÖ unter Michael Ludwig ist nur oberflächlich geeint. Der linke Flügel verrennt sich in ressentimentgeladenem Bestemm, hält aber noch still. Ludwig sendet zwiespältige Signale aus. Einerseits deutet er eine vernünftige Wende zu mehr Realismus in der Zuwandererfrage an, dann stößt er aber auf der symbolischen Ebene die – ziemlich große – liberale urbane Schicht vor den Kopf, indem er am Neustifter Kirtag im Trachtenspenzer dem gleichfalls trachtigen Strache zuprostet. Aber mit Lederhosen-Mimikry kriegt man keinen FP-wählenden Arbeiter zurück. Und verliert womöglich die jüngere Bildungsschicht.

Wenn die SPÖ in Wien eingeht, ist die Dritte Republik Realität. Wenn sie besteht (etwa indem Grüne zu ihr wechseln), mit wem wird sie dann koalieren? Ludwig scheint zart die ÖVP zu favorisieren. Aber die ist unter Gernot Blümel zu einer neokonservativen "Schlanke Stadt"-Partei geworden. Sie würde die Kürzung von Sozialprogrammen und weiteres Schlechtbehandeln von Asylwerbern verlangen. Außerdem hoffen die wirklich auf einen türkis-blauen (Neos-gestützten?) Machtwechsel in Wien.

Wenn sich eine rot-grüne oder auch rot-türkise Koalition in Wien nicht ausgeht, was durchaus sein kann, böte sich eine Dreierkoalition Rot-Grün-Neos an. Sozusagen das letzte Bollwerk gegen einen kompletten Rechtsruck. (Hans Rauscher, 21.8.2018)