Lässt den Leser teilhaben an einer Blitzreise nach Kalifornien, der Liebe wegen: Michael Kumpfmüller, Chronist der Sehnsüchte.

Foto: Joachim Gern

Popkünstler taugen nicht unter allen Umständen als Fremdenführer. Häufig genug idealisieren sie die Orte, die sie inbrünstig besingen (Es lebe der Zentralfriedhof). Oder sie kennen die Destinationen ihrer Sehnsucht selbst bloß vom Hörensagen. Der Ich-Erzähler in Michael Kumpfmüllers neuem Roman macht das Beste aus einer solchen musikalischen Landesbeschreibung. Ein Song der US-Band Bright Eyes handelt nämlich von der Westküste: von Orten in Kalifornien und Arizona, die Winnetka, Mesa oder Olympia heißen.

Das Lied (June on the West Coast) bildet einen unverzichtbaren Baustein im Gefühlshaushalt der schönen Ora. Besagte Dame ist freiberufliche Schneiderin. Vor allem aber handelt es sich bei ihr um eine ebenso labile wie kapriziöse Person, die ebendeshalb ausnehmend gut zu Kumpfmüllers etwas drögem Ich-Erzähler passt. Er, ein leidlich erfolgreicher Sachbuchautor, muss den Bruch mit seiner Frau Lynn verwinden. Beim Namen Lynn klingeln die Detektoren: So nannte einst Max Frisch die Protagonistin seiner Erzählung Montauk.

Frisch drang nur bis zur US-Ostküste vor. Kumpfmüller legt seine Tage mit Ora deutlich exotischer an. Das ungleiche Paar braust im Mietauto über den Highway, während aus dem Player unentwegt Bright Eyes plärrt. Den Erzähler interessiert ohnehin mehr die permanente Analyse der Paarbildung. Die archaische Landschaft dient als Filter, um die Prinzipien des eigenen Begehrens besser zu verstehen.

Selbstironie einer Woody-Allen-Figur

Im Understatement, in der unbedingten Bewahrung einer alltagsklugen Mittellage, steckt Kumpfmüllers Raffinesse. Ein Satzbeginn wie "Ich hatte kein Problem mit Sex, zumindest, was die materielle Basis betrifft ..." besitzt die nerdige Selbstironie einer Woody-Allen-Figur. Für Ora, dieses nebulose Objekt der Begierde, gelten die nämlichen Einschränkungen wie für ihren Begleiter.

Selbstreflexive Anwandlungen gehen bei ihr Hand in Hand mit Bindungsängsten. Der Ich-Held rekapituliert immer wieder die Therapiestunden bei seiner Psychiaterin, die ihm, vielleicht sogar aus verhohlener Eifersucht, von einer Verbindung mit Ora dringend abrät. Man könnte bei den beiden Liebenden also an Tausendfüßler denken, die versuchen, sich beim Gehen der Funktionsweise ihrer Füße zu besinnen. Und doch geht Kumpfmüllers Versuchsanordnung über die plane Chronik einer schaumgebremsten Amour fou hinaus.

Pappendeckelamerika aus zweiter Hand

Das Anrufen einer lebendigen Auffassung von Gegenwart führt nicht nur zu quasireligiösen Momenten wahrer Empfindung. Der Autor zeigt, wie wenig ein bisschen Sprachkompetenz dazu taugt, die Authentizität unseres Erlebens zu verbürgen. Unser Erzähler schreibt dann allen Ernstes Sätze wie: "Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit Gesprächspausen geht, aber ich empfinde sie als unangenehm ..." Solche Einsichten, gegen die sich schlechterdings nichts einwenden lässt, sind manchmal zum Brüllen komisch.

Somit ist auch die Kulisse nur ein Pappendeckelamerika aus zweiter Hand. Die beiden Verliebten besuchen sogar die Bucht, in der Alfred Hitchcock Die Vögel drehte. Natürlich wird der Leser pflichtschuldig darauf hingewiesen, dass in dem ganzen Vogelschwarm erstaunlich viele Attrappen enthalten waren. So verhält es sich ein bisschen auch mit dieser amourösen Bildungsreise: Sie gleicht einem Planspiel der Liebe. Dieses ist – recht eindrucksvoll -zu gleichen Teilen aus Papier und Pop gemacht. (Ronald Pohl, 21.8.2018)