Bild nicht mehr verfügbar.

So ähnlich wie dieses Neandertaler-Mädchen könnte auch Denisova 11 ausgesehen haben.

Illustration: Picturedesk

Auf den ersten Blick ist es nicht gerade viel, was von "Denisova 11" übrig geblieben ist: ein abgesplittertes Stück Knochen von kaum mehr als zwei Zentimeter Länge. Doch dieses kleine Fragment, das vor einigen Jahren in einer Höhle in Südsibirien gefunden worden ist, entpuppt sich jetzt als genetisches Fenster in die Vergangenheit eines ganz besonderen Menschen und seiner Familie: Denisova 11 (so der wissenschaftliche Name, den das Individuum erhielt) war das Kind einer Neandertalerin und eines Denisova-Mannes.

Auch wenn schon vorher klar war, dass sich diese beiden ausgestorbenen Menschenarten bisweilen in mehrerlei Hinsicht nahe gekommen sein müssen: Noch nie zuvor sind Wissenschafter auf einen direkten Neandertaler-Denisova-Nachkommen gestoßen. Mit dem Knochen von Denisova 11 halten sie nun erstmals das Ergebnis einer solchen Liaison in Händen, die sich vor mehr als 50.000 Jahren im heutigen Südsibirien zugetragen haben muss. Hervorgegangen ist daraus ein Mädchen, dem nur ein recht kurzes Leben beschieden war: Es starb, als es etwa 13 Jahre alt war.

Der Frühmensch in uns

Doch dank der rasanten Fortschritte der Genetik konnten Wissenschafter aus diesem winzigen Knochen erstaunlich viele Details über die Familie von Denisova 11 gewinnen. So wissen wir etwa, dass die Mutter eine Neandertalerin mit westeuropäischen Wurzeln war. Der Vater wiederum war ein Denisova-Mann aus dem Osten Eurasiens, der aber offenbar selbst mindestens einen Neandertaler unter seinen Vorfahren hatte.

Über die genauen Umstände, unter denen das Kind der beiden gezeugt wurde, wissen wir natürlich nichts. Es lässt sich aber mit Sicherheit sagen, dass die Familiengeschichte gleich mehrere Kapitel über Migration und menschliche Diversität umfasst: Neandertaler sind augenscheinlich zigtausende Jahre vor ihrem Aussterben zwischen West- und Osteurasien umhergewandert, haben da wie dort Liebschaften gefunden und sind geblieben.

Das gilt aber keineswegs nur für unsere ausgestorbenen Verwandten, sondern auch für den frühen Homo sapiens: Unsere Vorfahren hatten sowohl mit Neandertalern als auch mit Denisova-Menschen ausgiebige Techtelmechtel. Bis heute finden sich die Spuren dieser Liebesabenteuer in unserem Erbgut. Vielleicht sollten wir uns genau das öfter vor Augen halten: Ein kleines bisschen Neandertaler und Denisovaner steckt auch in den meisten von uns. (David Rennert, 22.8.2018)