Anne Wizorek startete den Hashtag #Aufschrei.

Foto: Anne Koch

Die Beraterin für digitale Medien, Anne Wizorek, startete im Jahr 2013 den Hashtag #Aufschrei, um über Alltagssexismus zu sprechen. Neben zahlreicher Tweets von Menschen, die ihre eigenen Erlebnisse teilten, wurde die Feministin auch das Ziel von Anfeindungen.



Das erste Mal war schon ein Schock. Ich hatte davor schon auf meinem Blog einen Hasskommentar. Das war etwas in die Richtung, ich solle doch vor einen Bus laufen. Aber als ich durch meine feministischen Texte und meine aktivistischen Aktionen stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, wurde das schließlich ein ganz anderes Ausmaß.

Wann geht es los?

Ich hatte schon bei anderen Bloggerinnen mitbekommen, wie sie heftigst belästigt wurden und merkte, dass ich noch die Ausnahme war. Als ich aber solche Kommentare bekam, dachte ich: Okay, geht das jetzt auch bei mir los? Man ist innerlich leider schon darauf vorbereitet, dass es irgendwann passiert. Aber wenn man dann die tatsächlichen Drohungen liest, schockiert das natürlich trotzdem und man muss irgendwie damit klarkommen.

Mein Umgang mit Hasskommentaren hat sich dementsprechend verändert. Als es mit den Hashtag #Aufschrei losging, war die Zeitspanne zwischen "Ich schreibe nachts etwas im Internet" und "Ich sitze in der größten deutschen Talkshow" sehr kurz. Auf so eine extreme Situation kann man sich nicht wirklich mental vorbereiten. Ich konnte aber an mir selbst beobachten, dass ich zunächst die Einstellung hatte, ich müsse aushalten, was da an Hass kommt. Ich dachte: "Ich habe was zu Sexismus gesagt, ich bin Feministin, ich bin Frau. Dass solche Angriffe kommen, ist doch klar." Das war natürlich totaler Quatsch, denn solchen Hass sollte niemand aushalten müssen. Das musste ich aber erstmal auf die harte Tour lernen.

Man wird zur Projektionsfläche

Die Postings haben alles Mögliche in mir ausgelöst – es gibt ja auch eine große Bandbreite. Man merkt aber, dass man gar nicht mehr als Mensch wahrgenommen, sondern eher zu einer Projektionsfläche für alles wird. An Tagen, wo man sich sowieso nicht gut fühlt und solche Kommentare liest, verletzten die dann oft umso stärker. Genauso gibt es Situationen, wo ich mich eigentlich gut fühle und mein Tag dann versaut wird, weil ich das gelesen habe. Manchmal kann man aber sogar darüber lachen, weil es zum Beispiel einfach absurde Verschwörungstheorien sind, wie dass wir für #Aufschrei alle bezahlt wurden – mal von der "Bild"-Zeitung, mal von Alice Schwarzer.

Grenzen setzen

Mir hat sehr geholfen, dass ich ein gutes Unterstützungsnetzwerk an tollen Menschen um mich herum habe, die auch mal sagen: "Okay, du machst jetzt mal das Internet aus." In der Hochphase von #Aufschrei, wo ich viele Interviews gegeben hatte, gestresst war von den vielen unbekannten Situationen, wenig schlief und viel Hass ungefiltert abbekam, hatte ich auch einen kleineren Zusammenbruch. Es ist aber sehr wichtig, Grenzen für sich selbst zu setzen und bestimmte Aufgaben abzugeben, wenn man nicht mehr kann – das ist definitiv, was ich in dieser Zeit gelernt habe.

Mittlerweile handhabe ich es so, dass bestimmte Accounts erst von anderen Vertrauenspersonen gefiltert werden. Im Zweifelsfall geben sie mir Bescheid, wenn eine Drohung dabei ist, die ich ernst nehmen muss. Das Problem bei Hasskommentaren ist ja, dass man sie nicht einfach komplett ignorieren kann. Wenn zum Beispiel jemand drohende Kommentare ablässt und ankündigt, auf eine Veranstaltung von mir zu kommen, dann muss ich das ja wissen.

Nicht googeln

Ansonsten habe ich die Regel, dass ich mich jetzt nicht großartig google. Und ich habe mich relativ früh dafür entschieden, die Kommentare unter Interviews mit mir nicht zu lesen. Das erspart viele Nerven – wenn ich diese beleidigenden, hasserfüllten Sachen andauernd lesen und mich konstant damit auseinandersetzen würde, könnte ich meine Arbeit nicht mehr machen. (Protokoll: Muzayen Al-Youssef, 28.8.2018)