Ariana Grande gibt nicht klein bei, sondern huldigt dem Eros.

Foto: UMG

Ariana Grande hat sich bis dato wenig zuschulden kommen lassen. 2015 unterlief der Sängerin allerdings ein skurriler Lapsus. Ein Video tauchte auf, das sie dabei zeigte, wie sie in einem Geschäft verstohlen einige Donuts ableckte und zu ihrer Begleitung sagte, sie hasse Amerika. Der Shitstorm folgte prompt. #Donutgate, so der Hashtag, unter dem die Schleckerei in die Netz-Annalen einging, wurde aber insbesondere zum Miniskandal, weil die 1993 in Florida geborene Sängerin bis dato als "America's Sweetheart" der Generation Instagram galt. Ein bisschen Mädchen von nebenan, ein bisschen feministische Jungdiva. Jedenfalls ein brauchbares Vorbild für Teenies. Die groß inszenierte Rebellion – Miley Cyrus lässt grüßen – blieb bei Grandes Übergang vom Kinder- zum Popsuperstar aus.

Video zu "No Tears Left to Cry".
ArianaGrandeVevo

Nach dem ersten Karrierehöhepunkt mit 16, als Schauspielerin beim Kindersender Nickelodeon, machte sie beim öffentlichen Erwachsenwerden weder mit Drogeneskapaden, Sextapes, Spontanhochzeiten noch anderen branchenüblichen Irrungen Schlagzeilen. Sie veröffentlichte stattdessen drei gute Alben hintereinander: Yours Truly, My Everything und Dangerous Woman erreichten jeweils Platinstatus in Amerika. Grande stieg in die erste Liga junger Megastars auf. Musikalisch lautete die Formel: Orientierung am gerade relevanten Popsound plus ausreichend Platz für Grandes große Stimme. Die Sängerin ist nicht nur dafür bekannt, Diven wie Whitney Houston punktgenau imitieren zu können, ihre eigene Stimme scheut den Vergleich mit der Mariah Careys nicht; technisch ist Grande wohl besser.

Lebensbejahendes Statement

Wer die junge Popikone nicht wegen ihrer Musik kennt, verbindet mit ihrem Namen ein tragisches Ereignis. Am 22. Mai 2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter im Foyer der Manchester Arena nach einem ihrer Konzerte in die Luft. 23 Menschen starben, viele davon Kinder und Jugendliche. Grande ging mit der schrecklichen Situation so gut wie möglich um. Sie besuchte Verletzte im Krankenhaus, stellte mit One Love Manchester ein Benefizkonzert für die Opfer auf die Beine und zeigte respektvoll Präsenz. Dass das nächste Album eine Art Verarbeitung dieser Ereignisse hätte werden können, dunkel und nachdenklich, wäre zu erwarten gewesen. Grande scheint mit Sweetener allerdings eine andere Absicht zu verfolgen. Es ist ein lebensbejahendes Statement geworden.

Warme Synthflächen, Steel-Drums und quirlige Glöckchen umspielen Grandes exquisiten Wettgesang mit sich selbst. Sie zelebriert den Spaß, den Erfolg, den Sex, das Verliebt- und Glücklichsein. Starproduzent Max Martin und Konsorten zeichnen für die eingängigere Hälfte des Albums mit den hervorragenden Singles No Tears Left To Cry und God Is A Woman verantwortlich.

Video zu "God Is a Woman".
ArianaGrandeVevo

Pharrell Williams produzierte die meisten der anderen Nummern im Sinne seines immer spleeniger werdenden R 'n' B. Er bringt insgesamt zwar die interessanteren musikalischen Ideen ein, liegt dafür aber umso weiter daneben, wenn er daneben liegt (Borderline). Beides funktioniert kommerziell weniger gut, aber beim vierten Album darf man schon einmal experimentieren. Wirkliche Innovation hat der nostalgieverliebte Mainstreampop ohnehin schon länger nicht gesehen.

Panikattacken zum 80er-Sound

Für die Charts hat Sweetener das pulsierende Breathin in petto, das dem EDM-durchzogenen Popsound der Stunde noch am meisten verpflichtet ist. Die Nummer klingt nach guter 80er-Laune, handelt aber von Panikattacken. Denn auch wenn Grande nie explizit auf Manchester Bezug nimmt, tut sie es doch zwischen den Zeilen.

Ariana Grande mit "Breathin".
Ariana Grande`

Und zum Schluss. Der Abschlusstrack Get Well Soon läuft noch 40 Schweigesekunden nach dem Outro weiter, ergibt so eine Gesamtlänge von 5:22 Minuten und erinnert an das Datum des Anschlags. Auch wenn Grande Sweetener nicht zur großen, öffentlichen Verarbeitung nutzt, sondern den Zucker nach dem Schock besingt, versah sie ihr Album doch mit einer Botschaft: indem sie dem Terror selbst dort keinen Platz gab, der Liebe aber umso mehr. (Amira Ben Saoud, 27.8.2018)