Alex Zanardi sorgte am Sonntag für eine Sensation.

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In seinem BMW fuhr Zanardi im Regen auf Platz 5.

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Vor dem DTM-Gastspiel besichtigte Zanardi die Strecke in seinem Handbike.

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Misano – Der "beste Witz des Wochenendes" ließ Alex Zanardi auch spät in der Nacht noch breit grinsen. Der vermeintlich chancenlose Gaststarter war beim Nachtrennen der deutschen Tourenwagenmeisterschaft (DTM) in Misano gerade auf Platz fünf gerast: ohne viel Training, ohne Erfahrung im umgebauten BMW – und vor allem ohne seine Beinprothesen.

"Dieses Wochenende in der italienischen Heimat", sagte der beinamputierte Ausnahmeathlet, "werde ich für den Rest meines Lebens im Herzen tragen." Der 51-Jährige hatte seiner außergewöhnlichen Sportler-Vita an der Adria soeben ein weiteres bemerkenswertes Kapitel hinzugefügt, bei der Zieldurchfahrt sprach er selbst von einem Witz – einem sehr guten allerdings.

"Als ich hier angetreten bin, wollte ich bloß niemandem im Weg stehen", sagte er dem TV-Sender Kabel eins: "Und jetzt war ich plötzlich sogar schneller als ein paar andere." In einem vom Regen stark beeinflussten Rennen profitierte er von der falschen Reifenstrategie zahlreicher Konkurrenten, brachte seinen BMW allerdings auch auf bemerkenswertes Tempo.

Dabei waren die beiden Rennen in Misano eine späte Premiere für den früheren Formel-1-Piloten gewesen. In einem Lauf der Champ-Car-Serie auf dem Lausitzring hatte Zanardi im September 2001 beide Beine verloren, er musste vom Notarzt siebenmal wiederbelebt werden. "Eigentlich war ich tot", sagte Zanardi.

Am Limit

Er saß danach zwar immer wieder in verschiedenen Rennautos, doch in Italien steuerte er den Boliden nun erstmals ohne seine Prothesen, Gas und Bremse waren im Lenkrad eingebaut. Ein völlig ungewohntes Gefühl also, den Boliden auf diese Weise am Limit zu bewegen. Um sich mit der Strecke vertraut zu machen, fuhr er sie übrigens mit dem Handbike ab. Dass es im Auto funktionierte, kam kaum überraschend. Denn Neues hat Zanardi bisher nie abgeschreckt.

"Diese Rennautos hier sind so unglaublich schnell, sie haben so viel Abtrieb. Mein Glück war, dass ich in der Champ-Car-Serie in den 1990er-Jahren Formel-Autos gefahren bin, die mich stark an ein DTM-Auto von heute erinnern. Du brauchst enorm viel Können, um das DTM-Auto am Limit zu bewegen. Das sind ja eigentlich keine Tourenwagen, sondern richtig reinrassige Rennautos: stark, schnell, aufregend. Die Downforce, die generiert wird, ist unbeschreiblich. Es ist eine echte Kunst, Kurven mit so einem Auto gut zu fahren." Am besten fuhr sie der erst 20-jährige Schwede Joel Eriksson, er gewann im BMW. Im ersten Rennen am Samstag war Zanardi übrigens 13. gewesen.

Wie ein Besessener

Er habe es geschafft, "den Unfall in eine Chance zu verwandeln", sagte er zuletzt der Tageszeitung Die Welt: "Denn all die Dinge, die ich seitdem machen kann, sind direkt mit diesem Unfall verbunden – damit, dass ich keine Beine mehr habe."

Nach dem fürchterlichen Unfall in der Lausitz fand Zanardi im Handbike eine neue Berufung. Wie ein Besessener trainierte er das Fahren des mit den Armen betriebenen Rades – und gewann bei den Paralympics 2012 in London zweimal Gold. Zunächst sollte es das gewesen sein mit der paralympischen Karriere, doch irgendwie packte den Mann aus Bologna erneut der Ehrgeiz. Er wiederholte das Kunststück 2016 in Rio.

Verglichen damit ist dieser "Witz" von Misano eine ziemlich kleine Geschichte, doch sie passt bestens ins Bild. Denn hält Zanardi zwischendurch einmal inne und schaut zurück auf das, was in den vergangenen 17 Jahren passiert ist in seinem Leben, dann ist eigentlich nie Wehmut zu erkennen: nur Ehrgeiz und ziemlich viel Lebensfreude. "Ich habe meine Beine verloren", sagte er einmal, "aber nicht meinen Humor." (sid, red, 27.8.2018)

Deutschee Tourenwagen Masters (DTM) vom Sonntag in Misano/Italien:

14. Saisonrennen (32 Runden a 4,226 km/135,232 km): 1. Joel Eriksson (SWE) BMW M4 57:19,154 Minuten – 2. Edoardo Mortara (ITA) Mercedes-AMG C 63 DTM +1,817 Sek. – 3. René Rast (GER) Audi RS 5 DTM +6,493 Sek. – 4. Robin Frijns (NED) Audi RS 5 DTM +16,879 Sek. – 5. Alex Zanardi (ITA/Gaststarter) BMW M4 DTM +47,316 Sek. – 6. Paul di Resta (SCO) Mercedes-AMG C 63 DTM +59,802 Sek. – Weiter: 16. Philipp Eng (AUT) BMW M4 DTM +1:42,600 – Ausgeschieden Lucas Auer (AUT) Mercedes-AMG C63

DTM-Stand (14 von 20 Rennen): 1. Paul di Resta (SCO) 186 Pkt. – 2. Gary Paffett (GBR) 177 – 3. Edoardo Mortara (ITA) 138 – 4. Marco Wittmann (GER) 112 – 5. Lucas Auer (AUT) 110 – Weiter: 9. Philipp Eng (AUT) 87