Innovation im Jazz ist eine mühselige Angelegenheit. Das Musikmaterial des Genres ist längst durchgeknetet. Der Jazz ist zu einer Art klassischer Musik geworden – samt Originalklangbewegung (siehe Wynton Marsalis). Neuheit ergibt sich immerhin durch "Infusionen" anderer Genres. Rock, Pop und Verwandtes sind immer anregend. So klingt beim Jazzfestival Saalfelden bei der französischen Sängerin Leïla Martial das Chanson als Basis durch. Die sentimentalen Miniaturen werden fragil angesungen, dann jedoch individuell jazzig verarbeitet. Auch ein Schlager wie Smile (von Charlie Chaplin) kommt auf den Seziertisch.

Die französische Sängerin Leïla Martial in Saalfelden.
Foto: Matthias Heschl

Das Ergebnis grenzt dann an Neukomposition: Martial hält sich zwar an den Text. Von einer überschwänglichen Lachanleitung ist Smile aber weit entfernt: Düster und melancholisch wirkt der Song und zeigt, dass die Dame zu Saalfelden, wo avancierte subjektive Kunst zu Hause ist, gut passt. Wenn sie zu Improvisationen übergeht, verfremdet sie ihre Ideen elektronisch. Auch loopt sie ihre Linien und baut aus ihnen mehrstimmige Vokalkathedralen. Ihr Zugang zum Scatten ähnelt jenem der Portugiesin Maria João.

Cellist Erik Friedlander live in Saalfelden.
Foto: Matthias Heschl

Martial beherrscht aber auch die Kunst, Geschichten ohne Worte zu erzählen, nur mithilfe einer emotional aufgeladenen Fantasiesprache, die auch perkussiven Stimmeinsatz nutzt. Das wirkt lebendig wie die Klavierarbeit von US-Pianist Uri Caine, der am Finaltag bisweilen souljazzig ansetzt. Dazwischen jedoch begehrt durchkomponierte Kammermusik der europäischen Art Einlass. Das Projekt von Cellist Erik Friedlander kann somit dem Third-Stream-Bereich zugeordnet werden, in dem sich Improvisation und Komposition duellieren.

Gitarrist Christian Kühn und die Band Kuhn Fu.
Foto: Matthias Heschl

Ein gutes Stichwort auch zu Kuhn Fu: Die Band um Gitarrist Christian Kühn setzt auf Stilduelle, wie sie einst US-Saxofonist John Zorn in seiner postmodernen Collagenphase zelebriert hat. Donnernde Rockriffs und Metal-Breaks werden abgelöst von zierlichem Melos und parodistischen Ausflügen in die Jazztradition. Wuchtig tönt das und passt zum Saalfeldener Konzept mit seiner Rockaffinität.

In Zukunft will sich das traditionsreiche Festival übrigens verstärkt in der Stadt ausbreiten, junges Publikum anlocken. Es würde dabei auch helfen, sich den einen oder anderen jungen Star zu holen. Einen Kamasi Washington zur Diskussion zu stellen wäre eigentlich Pflicht gewesen. Ob er Innovatives bewirken kann, muss ohnedies erst mit zeitlicher Distanz bewertet werden. (Ljubiša Tošić, 27.8.2018)