Côte d'Ivoire ist hierzulande besser als Elfenbeinküste bekannt. Das, obwohl die ivorische Regierung 1986 verboten hat, den Landesnamen in andere Sprachen zu übersetzen.

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In einem bunten, teilweise animierten Video starren genervte Teenager in Smartphones, fahren auf Motorrädern durch die Stadt und streiten mit ihren Eltern. Ein Zouglou-Beat, ein Musikstil aus Côte d'Ivoire, untermalt das Geschehen: "Mama, Papa sind arbeitslos, aber wir haben Markenhandys und Luxusautos", singt Lunic, ein ivorischer Hip-Hop-Star. Sein Hit "Génération pressée pressée" – hastige, eilige Generation – wurde zum Synonym der rastlosen ivorischen Jugend.

Mit einem Wirtschaftswachstum von 7,8 Prozent im vergangenen Jahr zählt Côte d'Ivoire zu den acht am schnellsten wachsenden Ländern der Welt. Dennoch machen sich jährlich tausende Menschen auf der Suche nach Arbeit und Wohlstand nach Europa auf.

Gefährliche Reise

Für viele Migranten beginnt die lange und gefährliche Reise bis zum Mittelmeer in Daloa, einer Gemeinde mit 320.000 Einwohner rund 140 Kilometer westlich der Hauptstadt Yamoussoukro. Hier gibt es kaum Arbeit, junge Menschen träumen von einem besseren Leben nördlich des Mittelmeers. Die meisten Migranten zahlen laut IOM, der Internationalen Organisation für Migration, 800 bis 3.000 Euro für die Reise von Côte d'Ivoire über Burkina Faso, Mali, Algerien und Libyen bis nach Italien oder Spanien – ein bis zwei Jahreseinkommen für Ivorer.

Im vergangenen Jahr sind allein in Italien mehr als 7.000 Migranten aus Côte d'Ivoire gelandet, tausende weitere in Spanien. Ivorer zählen damit zur viertgrößten Gruppe an Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Dabei gilt aber zu beachten, dass viele der "Ivorer" ursprünglich aus anderen Ländern kommen, sagt Issiaka Konaté, der im ivorischen Integrationsministerium die Abteilung für Ivorer im Ausland leitet. Knapp ein Viertel der Bevölkerung des Landes sind Einwanderer: "Côte d'Ivoire ist sowohl Abreiseland, Durchreiseland als auch Aufnahmeland", sagt Konaté im Gespräch mit dem STANDARD.

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Hälfte lebt in Armut

Während der Wirtschaftsboom die Städte wohlhabend gemacht hat, blieb die ländliche Bevölkerung auf der Strecke. 46 Prozent der knapp 24 Millionen Einwohner leben nach Angaben der Weltbank in Armut. Sechs von zehn Erwachsenen können nicht lesen und schreiben, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei rund 53 Jahren. Das Land, dessen Name einem Erlass aus dem Jahre 1986 zufolge nicht mehr in andere Sprachen übersetzt werden darf, gehört laut dem Human-Development-Index mit Platz 171 von 188 zu den am schlechtesten entwickelten Nationen der Welt.

Dabei hätte es durchaus anders kommen können: Nach 70 Jahren französischer Kolonialherrschaft blühte das Land wirtschaftlich auf. Côte d'Ivoire wurde 1958 zur autonomen Region, 1960 erreichte das Land unter Félix Houphouët-Boigny, erst Premierminister, dann Präsident, die Unabhängigkeit. Das "ivorische Wirtschaftswunder", wie es damals genannt wurde, baute seinen Erfolg auf Rohstoffen wie Baumwolle, Erdöl, Kakao und Kaffee auf.

Félix Houphouët-Boigny konnte während seiner Präsidentschaft ausländisches Kapital in hohem Maße in das Land holen wie auch Expertise aus Europa. Gleichzeitig mutierte Côte d'Ivoire zum größten Kakaoproduzenten und zu einem der wichtigsten Kaffeeexporteure weltweit. Über zwei Jahrzehnte rangierte das Wirtschaftswachstum zwischen fünf und zehn Prozent pro Jahr. Der Wohlstand zog auch zahlreiche Migranten aus ärmeren Nachbarregionen an: Zwischen 1960 und 2016 hat sich die Bevölkerung des Landes mehr als versechsfacht.

Kurzes Wunder

Doch lange hielt das westafrikanische Wunder nicht an: Ende der 1970er-Jahre verfiel der Weltmarktpreis für Kakao und Kaffee, Côte d'Ivoire verschuldete sich hoch und fand sich in einer Wirtschafts- und Finanzkrise wieder. Zeitgleich litten ivorische Landwirte an einer mehrere Jahre anhaltenden Dürre, die mehrere Hunderttausend Hektar Anbaufläche zerstörte.

Mit der Wirtschaftskrise endete auch die – seit der Kolonialzeit – relativ stabile Lage. Der erste Präsident nach Houphouët-Boigny wurde durch einen Militärputsch entthront. Wenig später folgte ein Bürgerkrieg, der das Land für Jahre in den Norden und Süden spaltete. Nach einer weiteren turbulenten Präsidentschaftswahl kam es zu monatelangen Ausschreitungen, bei denen 3.000 Menschen ums Leben kamen und mehr als eine halbe Million Menschen ihre Heimat verlassen mussten.

Erst im Jahr 2011 beruhigte sich die Lage in dem westafrikanischen Land. Der derzeitige Präsident Alassane Ouattara, der als enger Freund des ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gilt, konnte durch eine investorenfreundliche Politik viele ausländische Geldgeber an Land ziehen. Bereits ein Jahr nach dem blutigen Konflikt wuchs das Bruttoinlandsprodukt des Landes um mehr als zehn Prozent.

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Starker Agrarsektor

Für den Wirtschaftsboom ist laut der Weltbank vor allem der aufblühende Agrarsektor verantwortlich, der in den vergangenen Jahren von höheren Preisen und günstigen Wetterbedingungen profitierte. Der industrielle Sektor konnte dabei mitnaschen, da zahlreiche Produkte im Land selbst weiterverarbeitet werden. Auch der Kommunikationssektor ist zuletzt stark gewachsen, Ivorer hinken laut Weltbank in puncto Technologisierung und Produktivität jedoch nach wie vor anderen Schwellenländern hinterher.

Trotz der wirtschaftlich guten Aussichten suchen vor allem junge Menschen ihr Glück in Europa: Der Großteil der Migranten aus dem Land am Golf von Guinea ist laut einer Studie der IOM zwischen 18 und 30 Jahre alt, 70 Prozent gingen vor der Abreise einem bezahlten Job nach.

In der Erhebung wurden Rückkehrer zu den Migrationsursachen und der persönlichen Situation befragt. Demnach verdiente der Großteil vor ihrer Abreise rund 150 Euro pro Monat – 55 Euro mehr als der ivorische Mindestlohn. "Der primäre Migrationsgrund ist nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Suche nach einem besseren Leben", sagt Konaté vom Integrationsministerium.

Suche nach besserem Leben

Was kann also getan werden, damit weniger Ivorer die gefährliche Reise antreten? "Wir müssen daran arbeiten, das Ideal des europäischen Eldorados, das seit Jahrzehnten in den Köpfen unserer Jugend existiert, abzubauen", meint Konaté. In den 31 Regionen des Landes wurden Informationskampagnen gestartet, in denen Menschen für das Thema sensibilisiert werden.

Die Regierung hat außerdem einen nationalen Reintegrationsplan durchgesetzt, um Migranten die Rückkehr zu erleichtern. Seit Mai 2017 sind bereits 3.079 Ivorer mit der Unterstützung der IOM und der Europäischen Union freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt.

Dennoch bleibt viel zu tun, sagt der Experte: Schleppernetzwerke in Westafrika müssen zerschlagen und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Staaten gestärkt werden. Dazu zähle aber auch die Schaffung sicherer Korridore für Menschen, die vor Krieg und Konflikten flüchten. "Migration nur aus der Sicherheitsperspektive zu betrachten ist eine gefährliche Vereinfachung, die nur zu mehr Dramen führt", sagt Konaté. "Die Idee, dass sich der afrikanische Kontinent leert, ist eine Idee, die nur in den Köpfen uniformierter Leute existiert." Immerhin fänden 85 Prozent der Migration innerhalb des Kontinents statt. (Nora Laufer, 28.8.2018)