Für Kanzler Sebastian Kurz wird dieser "Europaherbst" zum ersten echten Leistungstest,

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Mit Ende der Sommerpause stehen vielen Regierungen in der Europäischen Union wie auch der Kommission schwere, da und dort sogar schicksalhafte Monate bevor.

Die "Koalition stolpert in den Herbst", titelt die Süddeutsche Zeitung zum Dauerstreit des Kabinetts von Angela Merkel in Deutschland, das nach den Herbstwahlen in Bayern ins Straucheln geraten könnte. In Frankreich kehrt Staatspräsident Emmanuel Macron nach Paris zurück, um weiter an den Folgen heikler Skandale in seinem engsten Umfeld zu kiefeln. Gar nicht zu reden von der britischen Regierung von Premierministerin Theresa May, für die wegen der bisher erfolglosen Verhandlungen über den EU-Austritt ihres Landes rasch eine Situation von Sein oder Nichtsein eintreten könnte.

Damit sind nur die wichtigsten und größten Mitgliedstaaten genannt. Daneben gibt es Wahlen in Schweden. In Italien herrscht wegen der Migrationskrise Chaos. Auf der Europabühne ist also ein "heißer Herbst" zu erwarten.

Das bedeutet für die österreichische Bundesregierung, die bis Ende Dezember den EU-Ratsvorsitz innehat und beim Management der Krisen ins Zentrum rückt, die größte Herausforderung seit Amtsantritt. Kanzler Sebastian Kurz hat den "proeuropäischen Kurs" zur Bedingung der Koalition mit der FPÖ gemacht. Er wollte nicht nur nach außen ein unmissverständliches Signal geben, dass sein Pakt mit der rechtspopulistischen und auf EU-Ebene skeptisch auftretenden FPÖ den Fortgang der Gemeinschaft in keinem Punkt bremsen werde. Der ÖVP-Chef wollte vor allem sicherstellen, dass der traditionell EU-orientierte Kurs seiner Partei beibehalten bleibt, bestenfalls leicht modifiziert.

Nach der ersten Aufwärmphase im Sommer, zu Beginn des EU-Vorsitzes, stellt sich daher jetzt die Frage, ob die Wiener Regierung gut gewappnet ist für das Kommende. Was die Administration, die Beamtenschaft und die Organisation betrifft, hört man bisher nur Gutes über die Österreicher. Sie sind Konferenzprofis.

Etwas anders sieht das freilich in der Ministerriege aus. Die Aufregungen rund um die Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Hochzeit von Außenministerin Karin Kneissl trotz der EU-Sanktionen haben gezeigt, dass es nicht so rund läuft im türkis-blauen Lager. Zum einen ist verwunderlich, dass eine Außenministerin mit ihrem Kanzler offenbar nicht eng abgestimmt ist. Zum anderen fiel auf, dass die FPÖ und ihr Parteichef Heinz-Christian Strache nicht so wirklich auf verlässlicher EU-Linie sind, etwa wenn es um Russland oder in Asylfragen um die Gültigkeit der EU-Grundrechtecharta geht.

Weitere Belastung steht durch den EU-Wahlkampf bevor, den Angriff der rechtspopulistischen EU-skeptischen Plattform, an der die FPÖ mitbastelt.

Für den Kanzler, der mehr Ambitionen für eine Profilierung auf der europäischen Bühne hat, als seine Gegner glauben, wird dieser "Europaherbst" zum ersten echten Leistungstest, jenseits innenpolitischer Scharmützel.

Zeigt er sich als fähig, zwischen zerstrittenen EU-Partnern Kompromisse mitzuschmieden, dann gewinnt er unter den Regierungschefs an Statur. Dann könnte er in einigen Jahren auch bei einem EU-Spitzenposten mitmischen. Bringt er wenig zusammen, wird sich die Frage stellen, ob er Substanz hat.

Unklar ist, ob die FPÖ ihn unterstützt oder stört. Klar ist: Mit Bluffs oder gutem Marketing kommt man auf EU-Ebene nicht weit. Dort reüssiert nur, wer in der Sache etwas draufhat.(Thomas Mayer, 27.8.2018)