Nacktmullnachwuchskuddelmuddel: Bisher galt es als Rätsel, woher die Hormone stammen, die bei den wundersamen Nagern Brutpflegeverhalten auslösen.
Foto: PNAS

Wahrscheinlich kommt die Warnung bereits zu spät, diesen Text nicht weiterzulesen, falls Sie nebenbei gerade mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt sind. Denn was japanische Veterinärmediziner um Takefumi Kikusuia (Universität Azabu in Sagamihara) bei Experimenten mit einer Nacktmull-Kolonie im Labor herausgefunden haben, könnte Ihnen womöglich ein wenig den Appetit verderben.

Das liegt in dem Fall nicht an der Hässlichkeit der Tiere, sondern der wohl ziemlich einmaligen Art und Weise, wie diese Tiere die Nachwuchspflege organisieren. Die Nagetiere, die in freier Wildbahn in unterirdischen Kolonien in den Halbwüsten Ostafrikas leben, stellen aus vielerlei Gründen ein Faszinosum nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Medizin dar. Sie sind die Methusalems unter den Nagetieren, können 20 Jahre alt und älter werden, kennen weder Schmerz noch Krebs, brauchen praktisch kein Wasser oder halten so geringe Sauerstoffkonzentrationen aus, die für alle anderen Säugetiere tödlich wären.

Wissenswertes über den einzigartigen Stoffwechsel des Nacktmulls.
TED-Ed

Hochspezialisierte Arbeitsteilung

Einzigartig ist aber auch die sogenannte Eusozialität der Tiere, die quasi insektenähnliche Gesellschaften mit 20 bis 300 Tieren bilden. Sprich: Es gibt eine strenge, hochspezialisierte Arbeitsteilung, die an das Lebensalter des einzelnen Individuums gebunden ist. An der Spitze steht die Königin, die als einziges Weibchen fruchtbar ist und alle 70 bis 80 Tage wirft. Erst wenn sie stirbt, werden andere Weibchen fruchtbar. Wie das funktioniert, ist nicht ganz klar.

Größere und ältere Tiere ("Soldaten") halten sich an den Ausgängen des Baues auf, die sie bewachen, die etwas Jüngeren betätigen sie sich als Gräber ("Arbeiter") und sind für den Ausbau des Gangsystems zuständig. Die jungen Nacktmulle schließlich kümmern sich um ihre noch jüngeren Geschwister.

Anschauliches Video über die im Reich der Säugetiere einmalige Sozialstruktur des Nacktmulls.
Nat Geo WILD

Doch auch dieses Verhalten gab bis jetzt Rätsel auf: Bei anderen weiblichen Säugetieren werden mütterliche Instinkte typischerweise durch eine Flut von Hormonen während der Schwangerschaft ausgelöst.Doch diese hormonproduzierenden Fortpflanzungsorgane gibt es bei den untergeordneten Weibchen der Nacktmull-Kolonie nicht.

Kacke der Königin macht fürsorglich

Was also führt dann dazu, dass sich Nachtmulle um ihre jüngeren Artgenossen kümmern? Letzte Warnung: Nun wird es wirklich unappetitlich. Es ist nämlich, wie die japanischen Forscher im US-Fachblatt "PNAS" berichten, das Kotfressen, das bei den Tieren diese fürsorglichen Gefühle auslöst.

Doch freilich tut nicht jeder Kot seine Wirkung, wie die Wissenschafter bei ihren Experimenten herausfanden. Die Fäkalien müssen von der schwangeren Königin stammen, denn nur deren Kot enthält die entsprechende Menge an Estradiol, das bei den Untergebenen mütterliche Instinkte hervorruft – wie etwa sofortiges Reagieren auf Schreie der kleinen Nacktmulle. Jene Tiere, die diese hormonhaltige Kacke gefressen hatten, hatten übrigens auch mehr Östrogen in ihrem eigenen Kot und Urin.

Das Resümee der Forscher: Nacktmull-Königinnen geben ihre mütterlichen Instinkte durch Kot an ihre Untergebenen weiter – eine weitere Strategie, die, wie so viele andere Eigenschaften des Nacktmulls, im Reich der Tiere ziemlich einzigartig ist. (Klaus Taschwer, 2.9.2018)