Die Sommerfrische, neuerdings wieder beliebt, ist das Gegenteil des modernen Reisens. Der Sommerfrischler will nicht Neues entdecken, sondern Vertrautes wiederfinden.

Er will nicht erleben, sondern leben, möglichst genau so wie zu Hause, nur auf dem Land statt in der Stadt. Er freut sich, wenn er den Nachbarn wiedersieht, den Trafikanten, die Wirtin im Dorfgasthaus. Alles genau so wie letzten Sommer? Gut so.

Kinder haben mit alten Leuten gemeinsam, dass sie diese Art von Sommerfrische lieben. Der vertraute Waldspaziergang! Der vertraute Badeplatz! Schwammerln suchen! Frösche fangen! Herrlich! Wenn sie die Sommerferien mit Papa und Mama oder Opi und Omi plötzlich urlangweilig finden und sich danach sehnen, mit Freund oder Freundin auf Interrailreise zu gehen, sind sie keine Kinder mehr, sondern Jugendliche.

In Österreich hat sich die Sommerfrische-Kultur im Laufe der Jahrzehnte erstaunlich wenig verändert. Das Salzkammergut atmet immer noch etwas von dem Geist Schnitzlers, nur dass die vielen jüdischen Villen seit langem arisiert sind und oft noch von den Nachkommen der Arisierer bewohnt werden. Aber nach wie vor haben, in der Nobelvariante, wohlhabende Wiener Familien dort ihre Ferienhäuser.

Man besucht sich gegenseitig, fährt nach Salzburg zu den Festspielen, geht segeln. In der bescheideneren Variante wohnt die Familie stets in derselben Pension oder in der gemieteten Ferienwohnung, hat das Quartier schon im Vorjahr gebucht und wird von den Wirtsleuten als alte Bekannte freudig begrüßt. Alles wie immer.

Massentourismus

Was gar nicht zur Sommerfrische passt, ist der Massentourismus. Man begegnet ihm in den traditionellen Ferienorten auch kaum. Die Ausnahme bildet Hallstatt, das fest in der Hand der Chinesen ist. In China gibt es ein nachgebautes Hallstatt, da wollen viele wissen, wie das Original aussieht.

Aber auch anderswo wollen die Menschen etwas von der Welt sehen, und die Gruppenreise ist die einfachste und günstigste Art, das zu tun. Nichts hat früher die Menschen im Ostblock so verärgert wie das Nicht-reisen-Dürfen. Sterben, ohne Venedig und Paris gesehen zu haben? Nur das nicht. Kaum war der Eiserne Vorhang gefallen, setzten sich folgerichtig Hunderttausende in die Busse und erkundeten Europa. Sie tun es noch immer.

Man gönnt es ihnen von Herzen. Ein wenig Betrug ist freilich dabei, denn wirklich erleben kann man eine Stadt nicht, wenn man einen Nachmittag lang an den Sehenswürdigkeiten vorbeigetrieben wird und es danach jedes Mal heißt: weiter, zum nächsten Stopp. Meist reicht die Zeit nicht einmal für einen entspannten Kaffee auf der Piazza. Man kann aber nachher immerhin zu Hause sagen: Ich war in Venedig!

Massentourismus ist die Sache der berühmten großen Städte. Die Sommerfrische bleibt davon unberührt. Sie ist auch ein Gradmesser für das Lebensalter. Wer lieber nach Grundlsee fährt als nach Indien, ist alt. Wer am liebsten ganz zu Hause bleibt, ist uralt.(Barbara Coudenhove-Kalergi, 30.8.2018)