Erkennbar schwul, so etwas muss es doch geben, meint man in manchen Behörden.

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Verfolgte Homosexuelle haben Anspruch auf Asyl. Was der Europäische Gerichtshof 2013 für die Mitgliedstaaten der EU festgestellt hat, klingt einleuchtend und unmissverständlich:

Es ist Menschen nicht zuzumuten, in ein Land abgeschoben zu werden, in dem ihnen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Strafverfolgung, Gewalt oder gar der Tod droht. 2014 wurde dies noch einmal präzisiert: Asylsuchende dürften zwar hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung befragt werden, jedoch ohne sich dabei "stereotyper Vorstellungen in Verbindung mit Homosexualität" zu bedienen.

Damit steht nicht nur das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor einem Dilemma. Zum einen hat der EuGH 2013 auch darauf hingewiesen, dass eine Gesetzgebung, die "homosexuelle Handlungen" unter Strafe stellt, nicht unbedingt ausreicht. Sie muss auch angewandt werden, und dies bedeutet wiederum, dass die zuständigen Behörden umfassende Kenntnisse über die Situation in den entsprechenden Herkunftsländern haben müssen.

Zum anderen müssen sie zwingend eine Einschätzung zu Asylverfahren vornehmen und Entscheidungen treffen. Und die Entscheidung, ob ein triftiger Asylgrund vorliegt, ist in diesen Fällen immer auch ein Befinden darüber, ob Menschen wirklich homosexuell sind und in ihren Herkunftsländern tatsächlich verfolgt werden. Das betrifft wie gesagt alle Behörden, die mit dieser Thematik befasst sind. Im deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden schwule Männer auch schon mal gefragt, wie oft sie Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund gehabt und wie sie diesen empfunden hätten.

Bitte unauffällig bleiben

Lesbische Frauen werden abgeschoben, weil man ihnen vor dem Hintergrund einer Zwangsverheiratung mit einem Mann durch ihre Eltern ihr Lesbischsein nicht glaubt. Und in den Ablehnungsbescheiden zu Asylanträgen aufgrund von Verfolgung wegen Homosexualität heißt es, dass sich die Betreffenden ja "unauffällig" verhalten könnten.

Die jüngsten Fälle im österreichischen Bundesamt markieren allerdings einen neuerlichen Tiefpunkt dieser allgemeinen Praxis. Zuerst wurde der Fall eines Afghanen bekannt, bei dem der zuständige Beamte glaubte, vom "Gang, Gehabe und der Bekleidung" auf die heterosexuelle Orientierung des Asylbewerbers schließen zu können. Schließlich seien Homosexuelle doch eher gesellig und nicht aggressiv.

Offenbar hat der Mann noch nie von Emile Griffith gehört. In einem Rückkampf um den Boxweltmeistertitel 1962 schlug dieser so hart und unnachgiebig auf seinen Kontrahenten Benny Paret ein, dass sein Gegner ins Koma fiel und zehn Tage später verstarb. Paret hatte vor und während des Kampfes immer wieder Anspielungen auf Gerüchte um die Homosexualität von Griffith gemacht: "Hey Schwuchtel! Ich werde dich und deinen Ehemann kriegen."

Zu schwul dürfen Asylbewerber aber offenbar auch nicht auftreten. Denn in einem anderen Fall wird einem Geflüchteten aus dem Irak "überzogen mädchenhaftes Verhalten" vorgeworfen. Dass dieser seit Jahren in Österreichs Schwulenszene verkehrt und eine Broschüre zum Thema Coming-out für einen LGBTQI-Verein ins Arabische übersetzt hat, wiegt offenbar weniger schwer als der wie auch immer begründete Verdacht, er könnte sich absichtlich schwul inszenieren, um sich Asyl zu erschleichen.

Was kommt als Nächstes?

"Meine Schwägerin hat einen schwulen Bekannten: Den müssten Sie ja kennen!"

"Wir messen jetzt Ihre Körpertemperatur, und dann schauen wir mal, wie warm Sie sind."

"Wenn ich jetzt meinen Schlüsselbund fallen lasse und mich danach bücke, was machen Sie dann?"

Wem in seinem Heimatland Repression und Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung drohen, der hat Anspruch auf Asyl. Das ist gut und richtig so. Nicht richtig hingegen ist eine Einschätzung dieser Orientierung auf der Basis absurder Stereotype. Im Zweifel immer für die Betreffenden. Genau das können und müssen Rechtsstaaten aushalten. Denn nicht die Möglichkeit, jemandem Asyl zu gewähren, der oder die womöglich gar nicht homosexuell ist und deshalb dafür auch nicht im Heimatland verfolgt wird, untergräbt das rechtsstaatliche Fundament. Sondern die zynische Missachtung tatsächlicher Asylansprüche. (Nils Pickert, 2.9.2018)