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Scientology-Aussteiger Wilfried Handl. Seine Geschichte ist Teil einer Dokureihe über Macht und Manipulation – zu sehen ab 19. November beim Sender A&E.

Foto: A&E/Getty/Fürtbauer

Wien – Wilfried Handl hat Geld verloren. Viel Geld. In 28 Jahren dürften es zwischen 100.000 und 130.000 Euro gewesen sein, sagt er heute, viele Jahre später, wenn er über Scientology redet: "Das Geld stört mich aber am wenigsten." Was viel mehr schmerzt, ist ein anderer Verlust: "Man verliert seine Seele. Das Welt- und Menschenbild wird ausgetauscht. Das tut weh."

Wilfried Handl war von 1974 bis 2002 Mitglied jener Sekte, die sich selbst als religiöse Gemeinschaft bezeichnet: Scientology. 16 Jahre später sitzt der Wiener in einem kleinen Park im 18. Wiener Gemeindebezirk. Vor ihm ist die Kamera postiert, hinter ihm spenden Bäume ein bisschen Schatten. Es ist Mitte August, brennheiß, und ein fünfköpfiges Produktionsteam aus Deutschland ist da, um die Geschichte des Scientology-Aussteigers einzufangen. Es ist eine Geschichte über Menschenfänger. Über einen, der verführt wurde und selbst verführt hat.

"Im Bann der Seelenfänger"

Handl gehört zu den Protagonisten, die der deutsche Autor, Regisseur und Produzent Emanuel Rotstein vor die Kamera bittet, um die psychologischen Mechanismen aufzuzeigen, die hinter Sekten, obskuren Organisationen und totalitären Regimen stecken: Total Control – Im Bann der Seelenfänger heißt die Dokumentation, die Rotstein für den Pay-TV-Sender A&E dreht. Zu sehen ist sie am 19. November um 21 Uhr als Teil einer Schwerpunktwoche mit verschiedenen Dokus zu den Themen Sekten, Macht und Manipulation.

Warum die Wahl auf Handl fiel, erklärt Emanuel Rotstein im Gespräch mit dem STANDARD so: "Er wurde einerseits indoktriniert, andererseits hat er diese Mechanismen auch bei Menschen angewandt. Für mein Verständnis, wie totalitäre System funktionieren, ist er der Kronzeuge."

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Die Sonne brennt, Wilfried Handl glüht: Der Scientology-Aussteiger klärt über die Sekte auf – hier beim Dokudreh in Wien mit Moderatorin Esther Sedlaczek.
Foto: A&E/Getty/Fürtbauer

Neben Handl kommen etwa noch ein ehemaliger Jihadist, ein Ex-Neonazi und ein Stasi-Opfer zu Wort. Was sie trotz unterschiedlicher Ideologien eint, ist ein "wunder Punkt", sagt Rotstein: "Jemand fühlt sich unterdrückt oder nicht gehört, und dann gibt es einen, der Versprechungen macht und die Lösung für einfache Fragen bietet." Solche "Heilsbotschaften" fänden leicht Gehör: "Wir sind als Gesellschaft alle anfällig für diese Rattenfänger."

Von Chick Corea zu Scientology

Rotsteins "Kronzeuge" Handl war 20 Jahre alt, als er 1974 mit Scientology in Berührung kam: "Meine damalige Freundin ist abends drei-, viermal in der Woche verschwunden, weil sie gesagt hat, dass sie einen Kurs macht." Das war in der Wiener Dependance des Psychokults, den L. Ron Hubbard in den 1950er-Jahren in den USA gründete. Über Scientology wusste er damals nichts, sagt Handl während einer Drehpause zum STANDARD. Seine Freundin habe ihm erzählt, dass US-Jazzmusiker Chick Corea auch Scientologe sei: "Den habe ich sehr verehrt, und dann habe ich es mir einmal angesehen." Der neugierige Chick-Corea-Fan sollte später zum Leitenden Direktor von Wien avancieren, sprich zum Österreich-Chef der Organisation.

So banal die Geschichte seines Einstiegs ist, so dramatisch ist das Ende seiner Mitgliedschaft. Handl wurde mit der Diagnose Krebs konfrontiert: "Und das, obwohl man im Zustand Clear ja nicht einmal einen Schnupfen bekommen dürfte." Clear ist im Scientology-Universum eine geistige Ebene, die mithilfe des sogenannten Auditings erreicht werden kann. Eine Art Frage-und-Antwort-Spiel, das den Verstand reinigen soll, aber als Gehirnwäsche fungiert.

Und das Auditing kostet: Verstand und viel Geld, warnen Kritiker jener Organisation, für die Gegner "unterdrückerische Personen" sind. Oder wie es Handl unverblümt formuliert: "In den Augen von Scientologen sind Nichtscientologen der letzte Abschaum, mit dem man alles tun darf. Über Menschenrechte braucht man bei Scientology gar nicht reden."

Hoher Preis und soziale Isolation

Handls Zweifel an Scientology begannen bereits 1988, erzählt er. Den finalen Schritt setzte er aber erst Jahre später: "Auszusteigen ist ja nicht so einfach. Ich hatte damals schon eine Familie mit drei Kindern, war vernetzt mit Scientology."

Mit dem Sieg über den Krebs verlor er die Angst vor dem Ausstieg: "Ich wusste, dass ich ganz dringend etwas in meinem Leben ändern musste, und das war Scientology." Bei Scientology wurde er gleich zur Persona non grata erklärt: "Ich musste gar nicht viel Kontakt abbrechen, die haben eh alle den Kontakt zu mir abgebrochen."

Seitdem informiert er über die Gefahren der Sekte, indem er Bücher schreibt, Vorträge hält und drei Blogs betreibt. Einer davon heißt Die mysteriösen Todesfälle bei Scientology. Als Aufklärer sieht er sich dennoch nicht: "Aus meinem Leben können andere schöpfen und vielleicht eine Lehre daraus ziehen."

Opfer und Täter

Das Internet sei schließlich voll mit Informationen, auch wenn einiges verharmlosend sei. Als Beispiel nennt er den Wikipedia-Eintrag zu Scientology. Er konnte ihn nicht bearbeiten: "Auch hier sind Scientologen schon ganz dick drinnen." Beim Hauptartikel würde Essenzielles fehlen, etwa was die Fair-Game-Praxis sei: "Gegner von Scientology können mit allen Mitteln bekämpft werden. Das geht bis zum Mord." Scientology bestreitet, dass die Fair-Game-Praxis noch angewendet werde.

Repressionen hat auch Handl erlebt. Nicht unmittelbar nach seinem Ausstieg, aber ab dem Jahr 2005, als er vermehrt in den Medien auftauchte: "Der Scientology-Geheimdienst ist ausgerückt und hat versucht, irgendwelche Dinge über mich zu präsentieren." Als Opfer der Sekte will sich Handl dennoch nicht stilisieren, ganz im Gegenteil: "Es ist eine 50:50-Geschichte. Man ist gleichzeitig auch Täter."

Zum "Täter" wurde er mehrmals, sagt Handl und erzählt, wie er später den Spieß umdrehte. 1980 nahm ihn der Scientology-Geheimdienst in die Mangel: "Das war wie bei der Inquisition." Ihm wurde vorgeworfen, die Organisation zu unterwandern. "Ich wurde vor die Alternative gestellt, entweder im nächsten Leben ein Stein zu sein oder zu gestehen, was sie hören wollten." Was komplett abstrus klingt, ist bei Scientology Realität. Gelebt wird auf einer Art Zeitspur, die Milliarden Jahre zurückgeht. Handl hat gestanden, davon existiere sogar ein Notariatsakt: "Kompletter Blödsinn."

Stein oder Geld

Jahre später habe er jemanden mit der "exakt gleichen Redewendung" in die Bredouille gebracht. Scheidet ein Mitarbeiter vorzeitig aus, muss er das Geld für die Kurse zurückzahlen. "Ich habe eine Dame vor die Alternative gestellt, im nächsten Leben ein Stein zu sein oder zu bezahlen", erzählt Handl. Das waren 150.000 Schilling. Wie viele Leute er zu Scientology gebracht hat, kann er heute nicht genau sagen, nur: "1974 und 1975 habe ich meinen kompletten Freundeskreis durchgeschleust."

Handl war auch auf der Straße postiert, um mit irgendeinem "Schmäh" Passanten in die Räumlichkeiten von Scientology zu lotsen: "Dort lässt man sie einen sogenannten Persönlichkeitstest machen." Bei der Auswertung des Tests dreht man ihnen ein Buch an, oder noch besser: Man verkauft ihnen einen Kurs: "Anfangs ist es noch recht billig und kostet vielleicht 20 oder 30 Euro." Erst später steigt der Preis, auch jener, der persönlich zu zahlen ist – etwa für das Auditing: "Man wird verrückt, wie man einen Sessel verrückt. Man merkt es nicht, und kann unheimlich reinkippen." Handl vergleicht das mit einer "ganz schlechten Psychotherapie, aber gutem Polizeiverhör".

Gegen Kirchen aller Art

Handl schätzt, dass es in Österreich zwischen 300 und 600 Scientologen gibt. "Problematisch ist, dass jetzt langsam die zweite und dritte Generation in die Gänge kommt." Im Gegensatz zu den USA, wo Scientology zehntausende Anhänger und eine prallgefüllte Kriegskassa hat, sei der Auftritt in Österreich "bis zu einem gewissen Grad lächerlich", so Handl, denn: "Die größte Sekte sind die Zeugen Jehovas. Das sind dieselben Trotteln wie Scientologen. Man müsste das Konkordat kündigen und alle Kirchen vor die Türe setzen. Diese Missbrauchsfälle sind zehnmal ärger, als wenn jemand wo 300.000 Euro verliert."

Von einem Verbot von Scientology hält Handl nichts: "Das ist einfach ein Blödsinn. Ich würde gerne heißes Wetter verbieten, aber das ist ein gesellschaftliches Phänomen, mit dem man sich auseinandersetzen muss." Auseinandersetzen muss er sich nach wie vor mit seiner eigenen Biografie. Dass auch er zu den Verführten und Verführern gehörte. Er vergleicht das mit anonymen Alkoholikern: "Irgendwann kommt es durch. Es ist eine Grundinformation, wenn ich mit jemandem länger rede. Es ist ein Teil meiner Geschichte und wird es immer bleiben." (Oliver Mark, 9.11.2018)