Ben Becker reitet die Titelrolle immer weiter in einen Wahn hinein, der ausweglos ist in seiner Brutalität. Das Publikum auf seiner Seite wird zum stillen Komplizen.

Foto: Christina Baumann-Canaval

Salzburg – Eindringlich donnert Ben Beckers sonore Stimme von der Bühne in den Zuschauerraum: "Herrschen heißt ausbeuten." Die Titelfigur von Albert Camus' Tragödie "Caligula" ist eine Paraderolle für Becker, der stimmgewaltig und ausdauernd die Premiere am Sonntagabend am Salzburger Landestheater dominiert.

Caligula nützt seine Macht und schafft den Sinn ab. Lohnt es sich, ohne Grund zu leben? Der Verlust seiner Schwestergeliebten Drussila hat ihn aus allen Sinnzusammenhängen des Lebens gerissen. Sein Regierungsprinzip heißt nun Chaos. Er tötet Senatoren, ihr Erbe wandert in die Staatskassa. Er verleiht Orden für häufige Bordellbesuche und richtet enthaltsamere Männer hin. Er schließt die Kornkammer und löst eine Hungersnot aus. Caligula ist unberechenbar. "Ich brauche Schuldige. Alle sind im Voraus verurteilt."

Regie lässt den Text wirken

Die mögliche Antwort auf das Absurde ist die Revolte. Doch seine Gefolgschaft ist dem Herrscher überwiegend treu ergeben. Die Beziehung zwischen dem Poeten Scipio (Tim Oberließen) und Caligula zeigt, wie nahe Liebe und Hass beieinanderliegen. Caligula sucht in dieser Liebe den Schöngeist, bis er Scipios Vater tötet und überprüft, was der Hoffnungsträger imstande ist zu erdulden. Nikola Rudle gibt die fast mütterliche Geliebte Caesonia, die Caligula retten will und dafür plädiert zu versuchen, den irren Caesar zu verstehen. Christoph Wieschke steht in Unterhose und Hemd den aalglatten Patricius, der die Staatskasse leitet und sich Liebling nennen lässt.

Marike Moiteaux und John von Düffel verzichten in der Inszenierung auf Effekthascherei durch Kunstblut und lassen auch die Finger von aktuellen Bezügen mit dem Vorschlaghammer. Die Regisseure lassen den Text wirken. Die Gedanken an aktuelles Weltgeschehen kommen ganz von alleine. Das Bühnenbild von Eva Musil ist reduziert. Ein überdimensionaler Spiegel steht im Zentrum. Ein Wink mit dem Zaunpfahl für das Publikum. In den Videoeinspielungen werden die Statuen im Mirabellgarten zu bedrohlichen Zeugen des herumirrenden Herrschers. Die Musik von Phillip Hohenwarter und Matthias Peyker unterstreicht die anhaltend bedrückte Stimmung.

Gleichgültigkeit statt Gerechtigkeit

Ben Becker reitet die Titelrolle immer weiter in einen Wahn hinein, der ausweglos ist in seiner Brutalität. Er zieht das Publikum auf seine Seite und macht es zum stillen Komplizen. Caligula muss sich schließlich selbst den Spiegel vorhalten, als er ins Wasser des Sees im Orchestergraben blickt. Mahnend wendet sich Elisa Afie Agbaglah als treuer Sklave Helicon ans Publikum: "Ihr seid das Gegenteil von Gerechtigkeit." Die innere Zerrissenheit des gebrochenen Tyrannen gipfelt im Mord an einer seiner getreuen Geliebten. Caligula bricht Ceasonia kurzerhand das Genick. "Die Gerechten sind tot. Die Freiheit hat das Gesicht der Gleichgültigkeit."

Das Premierenpublikum war begeistert und spendierte nach neunzig Minuten ohne Pause minutenlang Applaus. Besonders Ben Becker wurde laut bejubelt. Das entlockte dem Hauptdarsteller den einzigen Grinser des Abends. (Stefanie Ruep, 3.9.2018)