Religion präsentiert sich meist sehr ernst und sorgt des Öfteren für hitzige Diskussionen. Manche Medien aber arbeiten Religion unterhaltsam auf, wie Beiträge in diesem Blog zeigen: frivole Nonnen, sündhafte Priester oder streitsüchtige Götter beweisen, dass religiöse Elemente für die Film- und Fernsehwelt längst unverzichtbar sind. Dass dieser sich über Jahrzehnte erstreckende Trend unter anderem auch die interaktive Rollenspiel-Community durchdrungen hat, erscheint dabei in der Natur der Sache, immerhin lebt diese nicht zuletzt auch vom Bespielen menschlicher Abgründe, und von denen hat kaum ein Element der menschlichen Geschichte je so viele geliefert wie Religion. Ein Beispiel für diesen buchstäblich spielerischen Umgang liefert das Science-Fiction-Universum von "Warhammer 40.000".

"In the grim darkness of the far future, there is only war."

Das Universum von "Warhammer 40k", wie es auch bezeichnet wird, begann seine Ausbreitung 1987 mit einem ersten Tabletop-Spiel namens "Rogue Trader". Dabei handelt es sich um ein Strategiespiel, bei dem einzelne Fraktionen gegeneinander antreten. Der Kampf wird mittels Miniaturfiguren auf einem Tisch – daher der Name – oder einer anderen ebenen Oberfläche ausgetragen. Auf diese erste Ausgabe folgten im Laufe der Zeit zahlreiche weitere Tabletop-Varianten sowie Bücher, Computerspiele, und auch Pen-and-Paper-Rollenspiele (bestes Beispiel: "Dungeons & Dragons"). 

Die Geschichte von "Warhammer 40.000" ist nur schwer zusammenfassbar. Grundsätzlich baut "Warhammer 40k" auf der realen Geschichte unserer Welt auf, spielt dabei aber in einer äußerst dystopischen Zukunft. So hat der Mensch im 41. Jahrtausend nach Christus zwar die Ausbreitung in den Weltraum geschafft, dabei allerdings Bekanntschaft mit einigen Alienrassen geschlossen, von denen eine feindseliger als die andere ist. Doch damit nicht genug, große Gefahr lauert auch außerhalb des realen Universums. An einem Ort jenseits von Raum und Zeit existieren grauenerregende, übermächtige Wesen, die "Chaosgötter" genannt werden und jede sich bietende Möglichkeit nutzen, um in das Universum der Menschen und Aliens einzugreifen und so im allgemeinen Kriegsgeschehen mitzumischen. Das Resultat all dieser Gegebenheiten ist jedenfalls ein Universum, das von permanentem Krieg gekennzeichnet und – wie vielleicht die Betrachtung der zugehörigen Artworks vermuten lässt – dementsprechend brutal und grausam erscheint. Im Englischen wurde im Zusammenhang mit der kruden Welt von "Warhammer 40k" übrigens ein eigenes Adjektiv gefunden. Das Wort "grimdark" – generiert aus dem oben zitierten Slogan des Franchises – ist die wohl treffendste Beschreibung einer Zukunft, in der sogar vergleichsweise kleine Schlachten genozidische Ausmaße annehmen und deren bildliche Darstellung selbst eingefleischten Fans der Filmreihe "Saw" den Magen umdreht.

Hinter der Sci-Fi-Fassade von "Warhammer 40.000" steckt ein großes, religiöses Konstrukt.
Foto: Games Workshop

Im Anfang war das Chaos

Zwar fallen Zukunftsprognosen selten besonders optimistisch aus, doch dürfte bei dem Bild, das "Warhammer 40k" vom 41. Jahrtausend malt, selbst dem größten Pessimisten zunächst der zynische Kommentar im Hals stecken bleiben. Einer der Hauptverursacher des Leidens im Jahre 40.000 ist die bereits erwähnte Gruppe der Chaosgötter, eine Entwicklung, die sicher niemand im 21. Jahrhundert hätte vorhersagen können. Dabei ist die Gegenüberstellung von guter Ordnung und bösem Chaos ein Element, das auch unserer Realität nicht fremd ist, stellt es immerhin die Basis eines der prominentesten Religionssysteme dar.

So baut das Christentum unter anderem auf einer negativen Konnotation des Chaos auf, womit eine Positionierung gegenüber einer positiven Ordnung einhergeht. In diesem Zusammenhang spricht auch die Bibel davon, dass die Erde am Anfang "wüst und wirr", also chaotisch, war, und erst durch Gottes rigorosen Sieben-Tages-Putzplan geordnet wurde. Die Darstellung in der Bibel konnotiert Gottes ordnendes Eingreifen – wenig überraschend – als positiv, suggeriert somit dass der anfängliche, chaotische Zustand der Erde negativ zu beurteilen sei. Dadurch wird zugleich auch eine klare Rollenverteilung etabliert. Gott ist gut, da er Ordnung herstellt und jeder, der diese Ordnung aufzuheben sucht, handelt gegen das Gute und somit gegen Gott. Diese Vorstellung zieht sich durch das gesamte Christentum, so wird, wie in einem anderen Blogbeitrag bereits festgestellt wurde, der Teufel selbst ja auch als "Durcheinanderbringer" bezeichnet.

In diese Tradition ordnet sich nun auch "Warhammer 40k" ein, indem es das Chaos gewissermaßen personifiziert und ihm Götter zuordnet. Es gibt zwar unzählige Chaosgötter in diesem fiktiven Universum, doch werden allgemein vier Gottheiten in den Vordergrund gerückt. Einer der mächtigsten Götter ist beispielsweise Khorne, der nicht nur einfach alle brutalen Aspekte des menschlichen Wesens verkörpert, sondern "die Manifestation jedes einzelnen hasserfüllten Schlags, jeder brutalen Tötung und jedes Mörders in der langen und grausamen Geschichte der Menschheit" ist, wie er auf einer von Fans für Fans betriebenen Website charakterisiert wird. Dem Schlachtruf seiner Anhänger ist auch der Titel dieses Beitrags entnommen: "Blut für den Blutgott! Schädel für seinen Thron!" – bei solchen Zitaten zeigt sich der Nutzen des Adjektivs "grimdark".

Unterschiedliche Fraktionen innerhalb des Warhammer 40.000 Universums.
Foto: Games Workshop

Berge von Verzweiflung und Meere aus Trauer – emotionales Chaos als Ursprung allen Übels

Während das Chaos im christlichen Umfeld keine eigenen Götter, höchstens einen offiziellen Vertreter, den Teufel, kennt, gibt es im "Warhammer 40k"-Universum also ein großes Angebot an chaotischen, göttlichen Ausformungen. Anders aber, als die der Ordnung gegenlaufenden Elemente des Christentums, sind die Chaosgötter keinem guten Gott untergeordnet, sondern bestehen für sich in einem vom realen Universum abgegrenzten Raum, der als "Warp" bezeichnet wird. Dieser stellt einen Hyperraum dar, in dem alle Gefühle jedes denkenden Lebewesens enthalten sind, sodass alle Wesen des realen Universums einen Abdruck in Form von Emotionen, aber auch Charakterzügen und Gedanken hinterlassen.

Der Warp wird meist sehr malerisch beschrieben, häufig ist von Bergen von Mut oder Verzweiflung die Rede, von Meeren, die Wellen aus Trauer schlagen. Diese Ansammlung an Emotionen, die zunächst harmonisch war, wurde im Laufe der Jahrtausende durch negative Gefühle in Unordnung gebracht, die daraus resultierenden negativen Energien entwickelten sich zu eigenen Wesen, die sich von der Negativität ernährten. Nachdem sie immer stärker wurden, konnten die so entstandenen Chaosgötter auch durch den Abdruck der Lebewesen im Warp auf das reale Universum zugreifen, und beispielsweise bei den Menschen Mutationen auslösen oder Seuchen verbreiten.

Was in unserer Realität in frühen Kulturen als Erklärungsmuster für Vorkommnisse herhalten musste, die noch nicht anderweitig erklärbar waren – wie beispielsweise die durch Gott geschickte Pest im Mittelalter –, ist in der Welt von "Warhammer 40k" nicht mehr bloßer Erklärungsversuch, sondern nachweisbare Tatsache. Und das alles nur wegen ein paar böser Gedanken – der Einfluss der Psyche auf die Physis scheint im Warhammer-Universum kaum von der Hand zu weisen.

Götter als Ausgeburten einer kollektiven Zwangsneurose

Darüber hinaus findet sich in der Entstehungsgeschichte der Chaosgötter ein weiterer Aspekt, der die Macher von "Warhammer 40.000" als potentielle Freudianer ausweist. Nach Freud liegt der Religionsbildung das Unterdrücken triebhafter Regungen zugrunde. Die Religion fordert von ihren Anhängern den Verzicht auf sozialschädliche Triebe, sodass sie im Endeffekt zur Verdrängung von Triebsregungen beiträgt. Da der chaotische Nährboden namens Warp alle Emotionen und Gedanken, somit auch verdrängte Gefühle und Triebregungen, enthält, speisen sich die Chaosgötter somit auch aus diesen. Somit ist zumindest die Entstehung der Götter durch verdrängte Triebe gegeben. Im Endeffekt handelt es sich bei Khorne und Co also um nichts anderes als die Ausgeburten einer kollektiven Zwangsneurose. Allerdings fordern die Kulte um die Chaosgötter nicht unbedingt Verzicht auf Triebe ein, sodass das Potential für Parallelen zur Freudianischen Religionskritik sich relativ schnell erschöpft. Zwar wird Nurgle, der Chaosgott der Verwesung, Krankheit und Pestilenz, von seinen Anhängern gerne liebevoll als "Papa Nurgle", basierend auf dessen "Gnade" gegenüber seinen buchstäblich verseuchten Anhängern, bezeichnet, jedoch wäre eine Verbindung zur infantilen Vatersehnsucht – nach Freud eine weitere Basis für das Entstehen einer Religion – noch schwieriger zu ziehen.

Eine wahrhaft schillernde Persönlichkeit des menschlichen Imperiums: der Imperator.
Foto: Games Workshop

Wie sich zeigt, stellt das Science Fiction-Universum von "Warhammer 40k" eine wahre Fundgrube an religiösen Elementen dar, die einer religionswissenschaftlichen Betrachtung lohnen würden. So musste in diesem Beitrag vieles unbeachtet bleiben, was bei treuen Fans wahrscheinlich für großen Unmut sorgen wird. Etwa die Entscheidung, das Imperium der Menschen und dessen Gott-Imperator, der die Hauptrolle in diesem Universum einnimmt, hier nicht zu erwähnen, käme für viele der Häresie gleich. Und tatsächlich ist der Imperator samt der ihm unterstehenden Organisation mitsamt Inquisition einer der spannendsten religiös konnotierten Aspekte im gesamten "Warhammer 40.000"-Universum, wie nicht auch zuletzt die Bezeichnung "Gott"-Imperator nahelegt. Was es mit dieser schillernden Figur auf sich hat, wie die Inquisition eine Imageverbesserung in "Warhammer 40k" erfährt und wie man sich schwer bewaffnete Kampfnonnen vorstellen soll – dazu in diesem Blog bald mehr. (Raphaela Hemet, 5.9.2018)

Weitere Beiträge im Religionswissenschaftsblog