Auch in Muhambal, etwa 30 Kilometer südlich von Idlib, kam es zu russischen Bombardements.

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UN-Syrienvermittler Staffan de Mistura sprach von einem "Moment der Wahrheit", wenn er sich am 10. und 11. September mit Vertretern der Türkei, des Iran und Russlands in Genf treffe.

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Idlib – Vor der erwarteten Offensive auf die Rebellenhochburg Idlib in Syrien warnen die Vereinten Nationen vor der größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Die Welt dürfe nicht "schlafwandlerisch" in diese Krise gehen, sagte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock am Dienstag angesichts der geschätzt drei Millionen Zivilisten in der Provinz im Nordwesten des Bürgerkriegslandes.

Derweil wurde die Region Menschenrechtlern und Rebellen zufolge von dutzenden russischen Bombardements getroffen, die eine Bodenoffensive vorbereiten sollen. Auch US-Präsident Donald Trump stimmte in die Warnungen ein. "Präsident Bashar al-Assad von Syrien darf die Provinz Idlib nicht unbesonnen angreifen", schrieb Trump am Montag auf Twitter. "Die Russen und Iraner würden einen schweren humanitären Fehler begehen, wenn sie sich an dieser potenziellen menschlichen Tragödie beteiligen. Hunderttausende Menschen könnten getötet werden. Lasst das nicht geschehen." Falls Assad erneut Chemiewaffen einsetzen sollte, würden die USA und ihre Verbündeten darauf schnell und "in angemessener Weise" reagieren, fügte eine Sprecherin Trumps hinzu.

Moskau bezeichnete Trumps Warnungen, ohne das sehr gefährliche und negative Potenzial der gesamten Lage in Syrien zu bedenken, als "möglicherweise keinen umfassenden Ansatz". Die Präsenz militanter Aufständischer in Idlib unterminiere den Friedensprozess in Syrien und mache die Region zu einer Basis für Angriffe auf russische Truppen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, die syrische Regierung habe "jedes Recht", die Militanten zu vertreiben.

Eine Million Kinder in Krisengebiet

Die Region ist das letzte große syrische Gebiet, das noch von Rebellen beherrscht wird. Dominiert werden diese von dem Al-Kaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham, der früheren Al-Nusra-Front. Syriens Regierung hat Truppen zusammengezogen und droht mit einem Angriff zusammen mit ihren Verbündeten Russland und Iran.

Lowcock zufolge leben in Idlib mehr als eine Million Kinder. Auf einen der oft extremistischen Kämpfer kämen rund 100 Zivilisten. Er sei in der vergangenen Woche in Damaskus gewesen und nach den Gesprächen höchst alarmiert. Es müsse alles unternommen werden, um eine blutige Schlacht zu verhindern. Gleichzeitig müsse es aber Vorbereitungen geben, um in diesem Fall Zivilisten helfen zu können.

Türkei rüstet an den Grenzen auf

Das Nachbarland Türkei, das im Fall einer Eskalation Flüchtlingsströme zu seiner Grenze befürchtet, brachte einem Medienbericht zufolge weiteres Kriegsgerät in die Grenzregion. Acht Frachtfahrzeuge mit Panzern und schweren Geschützen hätten die Grenzprovinz Kilis passiert, meldete die Zeitung "Hürriyet" am Dienstag. Idlib liegt nur etwa 30 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Die Türkei unterhält in der Provinz Beobachtungsposten und ist Schutzmacht einer Deeskalationszone.

Die Panzer habe das Militär auf die andere Seite der Grenze gebracht. Sie sollen laut Quellen aus Sicherheitskreisen helfen, Flüchtlingswellen in Richtung Türkei aufzuhalten und mit Systemen zur Beobachtung von Migrationsströmen ausgestattet sein, berichtete "Hürriyet". Die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, dass auch in der weiter südwestlich gelegenen Grenzprovinz Hatay Lastwagen mit Panzern angekommen seien. Sie sollten später in Grenzbezirke gebracht werden, um dort Befestigungen zu verstärken.

40 russische Luftangriffe am Vormittag

Russische Kriegsflugzeuge hatten am Vormittag der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge etwa 40 Luftangriffe in 20 Gebieten Idlibs geflogen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach davon, dass sich in der Provinz "das nächste Terroristennest gebildet" habe. "Wir wissen, dass die syrischen Streitkräfte sich darauf vorbereiten, das Problem zu lösen", sagte er der Agentur Interfax zufolge. Ein Datum für die Offensive nannte er nicht. Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif sprach von Bemühungen, die Zivilisten "mit den geringsten menschlichen Kosten" aus dem Gebiet zu "entfernen".

Der Westen ist aufgrund der Pläne und früherer blutiger Offensiven auf Rebellengebiete in Aleppo und Ostghuta alarmiert. Am Freitag wollen Russland und der Iran als Unterstützer der Regierung und die Türkei als Schutzmacht der Opposition über die Krise in Syrien beraten. Beobachter rechnen damit, dass sich dort das Schicksal Idlibs entscheiden könnte.

De Mistura will Friedensprozess wiederbeleben

UN-Syrien-Vermittler Staffan de Mistura sah dagegen am Dienstag eine gewisse Chance für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses. Er sprach von einem "Moment der Wahrheit", wenn er sich am 10. und 11. September mit Vertretern der Türkei, des Iran und Russlands in Genf treffe. "Wir stehen vor ziemlich wichtigen Wochen der Beratungen, die einem glaubwürdigen politischen Prozess neues Leben einhauchen könnten", sagte er. Am 14. September will de Mistura weitere Länder wie die USA, Frankreich, Saudi-Arabien und Deutschland über den Stand der Beratungen unterrichten. Am 20. September werde er im Umfeld der UN-Generalversammlung die Staatengemeinschaft informieren.

Noch diese Woche will der UN-Sicherheitsrat sich mit der erwarteten Offensive auf Idlib befassen. Ein entsprechendes Treffen sei für Freitag angesetzt, sagte US-Botschafterin Nikki Haley, deren Land im September die monatlich rotierende Präsidentschaft des Gremiums innehat, am Dienstag vor Journalisten in New York. (APA, 4.9.2018)