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Die beiden Verdächtigen.

Foto: Reuters/Metroplitan Police handout

Großbritannien benennt zwei erste Verdächtige bei der Vergiftung des übergelaufenen russischen Agenten Sergej Skripal, die Verbündeten USA, Deutschland, Frankreich und Kanada erklärten, sie hätten "volles Vertrauen in die britische Einschätzung". In Moskau nennt man die Männer unbekannt und ruft zur Kooperation bei der Aufklärung des Falls auf.

Alexander Petrow und Ruslan Boschirow heißen die Verdächtigen. Die britische Polizei hat neben den Namen auch die Fotos der mutmaßlichen Täter veröffentlicht. Die beiden landeten demnach wenige Tage vor der Vergiftung des ehemaligen Armeegeheimdienstlers Sergej Skripal und seiner Tochter Julia in London, wurden am Tag des Anschlags in Salisbury fotografiert und sollen wenige Minuten vor der Vergiftung der Skripals auch am Tatort gesichtet worden seien. Zwei Stunden später fuhren sie mit dem Zug zurück in die britische Hauptstadt, wo sie noch am Abend zurück nach Russland reisten.

Die britische Premierministerin Theresa May erneuerte daraufhin ihre Anschuldigungen gegen Moskau. Bei den Männern handle es sich um russische Geheimagenten, meinte sie. Sie sei allerdings "fast sicher", dass der Anschlag nicht nur vom Armeegeheimdienst GRU, sondern von höchster Stelle in Auftrag gegeben worden sei. "Die Namen sind, wie die Polizei vermutet, Pseudonyme", fügte May hinzu. Sie will am Donnerstag eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats einberufen. London machte auch Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich verantwortlich: Die Verantwortung liege "letzten Endes" bei Putin, weil er der Präsident des Landes ist und seine Regierung "den Militärgeheimdienst kontrolliert, finanziert und steuert", sagte der britische Staatssekretär für Sicherheitsfragen, Ben Wallace am Donnerstag der BBC.

Bewusstlos auf Parkbank

Die Skripals waren am 5. März bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury gefunden worden. Sie wiesen schwere Vergiftungserscheinungen auf. Scotland Yard erklärte später, dass beide mit dem in der Sowjetunion entwickelten Nervenkampfstoff "Nowitschok" ("Neuling") vergiftet worden seien. Das Gift wurde an der Türklinke angebracht, so die Version der Ermittler. Sergej und Julia Skripal haben nach Angaben der britischen Behörden den Anschlag überlebt, werden aber seitdem von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Ein britisches Pärchen, das später mit dem Nervengift in Berührung kam, hatte weniger Glück: Der Mann hatte ihr ein gefundenes Fläschchen als Parfüm geschenkt. Sie starb an den Folgen der Vergiftung, nachdem sie sich damit eingerieben hatte.

Russland hat eine Beteiligung an dem Giftanschlag stets bestritten. Nowitschok sei auch in anderen Ländern produziert worden, teilte das Außenministerium mit. Auch auf die Benennung der Verdächtigen reagierte das Außenamt operativ: "In den Medien sind Äußerungen britischer Offizieller bezüglich der Verdächtigen der Fälle in Salisbury und Amesbury aufgetaucht. Es wird eine Verknüpfung zu Russland hergestellt. Die in den Medien genannten Namen und Fotos sagen uns nichts", erklärte die offizielle Sprecherin des Außenministeriums Maria Sacharowa.

Sacharowa, die wenige Stunden zuvor auf ihrer Facebook-Seite Mays Tanzstil auf den Arm genommen und mit einer eigenen Tanzeinlage verglichen hatte, forderte anschließend mehr Ernsthaftigkeit. Die Briten sollten endlich "von öffentlichen Beschuldigungen und Informationsmanipulationen zu einer praktischen Zusammenarbeit auf der Ebene der Sicherheitsorgane übergehen", forderte sie. Von russischer Seite gebe es genügend Angebote dazu.

Kein Auslieferungsantrag

Zu dieser Zusammenarbeit wird es aber vorerst wohl nicht kommen. Ein Vertreter der britischen Staatsanwaltschaft erklärte, London werde keinen Auslieferungsantrag stellen, da Russland eigene Staatsbürger ohnehin nicht ausliefere. Tatsächlich hatte Russland in einem ähnlichen Fall – bei der Polonium-Vergiftung des übergelaufenen FSB-Agenten Alexander Litwinenko in London die Übergabe der Verdächtigen mit eben dieser Begründung verweigert.

Statt einer Kooperation dürfte der Skripal-Fall damit auf eine neue Eskalation zusteuern. May drohte bereits mit einer weiteren Verschärfung der Sanktionen. Als eine der Reaktionen hatte Großbritannien 23 russische Diplomaten ausgewiesen und auch die westlichen Partner zu einer solidarischen Aktion gedrängt. Am stärksten kamen die USA dieser Aufforderung nach, die in einem nach dem Ende des Kalten Kriegs beispiellosen Schritt gleich 60 russische Diplomaten auswiesen und ein Konsulat schlossen. In Deutschland wurden vier russische Botschaftsangehörige außer Landes verwiesen, Österreich beteiligte sich nicht an der Aktion. Russland antwortete jeweils spiegelgleich. (André Ballin, 5.9.2018)