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In Wien gelte momentan "Sag mir, wo du wohnst, und ich sage dir, was aus dir wird", sagen Christoph Wiederkehr und Bettina Emmerling von den Wiener Neos. Immer mehr Eltern würden ihre Kinder in Privatschulen anmelden, die Neuen Mittelschulen entwickelten sich vermehrt zu Brennpunktschulen.

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Wien – Fast ein Fünftel der Wiener Schülerinnen und Schüler besucht eine Privatschule, in den anderen Bundesländern sind es im Schnitt nur zehn Prozent. Für die Wiener Neos sind diese Zahlen ein Beleg dafür, wie groß das Misstrauen gegenüber dem öffentlichen Bildungssystem in Wien ist.

Ein zweites Indiz dafür sei, dass in Wien mehr Kinder an eine AHS gehen als in anderen Bundesländern: Während österreichweit nur ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler eine solche Schule besucht, sind es in Wien mehr als die Hälfte.

Zweiklassensystem als Warnsignal

"Dass es im Wiener Bildungssystem ein solches Zweiklassensystem gibt, ist ein absolutes Warnsignal", sagt Christoph Wiederkehr, baldiger Klubobmann der Wiener Neos. Sie wollen in den nächsten Wochen einen besonderen Fokus auf das Bildungssystem legen. Es werde in Wien nämlich vieles schöngeredet. Notwendige Reformen blieben aber aus, auch weil sich Rot-Grün in Wien und Türkis-Blau im Bund hier gegenseitig die Verantwortung zuschieben würden, sagt Wiederkehr. "Dieses ideologische Match wird auf den Rücken unserer Kinder ausgetragen."

Schlechtes Abschneiden bei Bildungsstandards

Blicke man auf die Zahlen zur Erfüllung der Bildungsstandards, werde deutlich, wieso viele Eltern ihre Kinder nicht mehr in die nähste Schule im Grätzel schicken. Mehr als 60 Prozent der Pflichtschulkinder in Wien erreichen die Bildungsstandards in Deutsch in der achten Schulstufe demnach nicht – im Österreich-Durchschnitt sind es nur rund 30 Prozent. Viele Pflichtschulen, vor allem die Neuen Mittelschulen, seien chronisch unterversorgt. Gleichzeitig seien die Bildungschancen höchst unterschiedlich verteilt: Pro 100.000 Einwohner gibt es in der Leopoldstadt beispielsweise fünf AHS-Unterstufenklassen. In der Josefstadt sind es hingegen 15.

Die Pinken schreien deswegen nach einer "Bildungsrevolution" – sie wollen sich mit den anderen Rathaus-Fraktionen zusammensetzen und bei einem Bildungsgipfel über notwendige Änderungen sprechen. Ein Vorbild dafür haben sie bereits: Wien soll sich laut Wiederkehr und der neuen Bildungssprecherin Bettina Emmerling an London orientieren.

Vorbild London

"Ende der 90er war London die Region Englands mit den niedrigsten Abschlüssen und niedrigsten erzielten Mindeststandards", sagt Emmerling. Die Stadt habe deswegen die "London Challenge" gestartet – fünf Jahre später sei man über dem nationalen Schnitt gelegen. Wie das gelang: Einer ehrlichen Analyse des Ist-Zustands sei eine Erarbeitung unterschiedlicher Ziele mit Experten gefolgt. Lehrer wurden außerdem intensiv nachqualifiziert und mit Coachings unterstützt.

Drei zentrale Forderungen

"Was London kann, das muss Wien auch schaffen", sagt Emmerling. Mehrere Maßnahmen seien wichtig, die für die Neos derzeit wichtigsten Forderungen sind allerdings eine Lehreroffensive für die Neuen Mittelschulen und attraktive Angebote, damit Lehrer sich überhaupt für diesen Schultyp entscheiden, kleinere Klassen im Volksschulbereich und jeweils ein Sozialarbeiter für jede Brennpunktschule.

Weniger statt mehr Autonomie

Finanziert werden sollen diese Maßnahmen über eine indexbasierte Förderung. Es solle zusätzliche Mittel geben, wenn es einen hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülern an einem Ort gebe. Wofür das Geld eingesetzt wird, darüber soll in den Schulen autonom entschieden werden. Statt mehr Autonomie sei momentan allerdings das Gegenteil zu beobachten, sagt Wiederkehr. "Die Bundesregierung gibt Regelungen – wie etwa die Deutschklassen – vor. Wir sind der Meinung, dass jede Schule für sich die besten Maßnahmen entscheiden sollen." Im Oktober will eine Delegation der Wiener Neos nach London reisen, um den Einblick in das Best-Practice-Beispiel noch zu vertiefen. (Lara Hagen, 5.9.2018)