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Während in Frankreich seit etwas mehr als einem Jahrhundert der Prix Goncourt und in Großbritannien seit fünf Jahrzehnten der Man Booker Prize vergeben wird, sind im deutschsprachigen Raum hochdotierte nationale Buchpreise, die den angeblich "besten" Roman des Jahres küren sollen, ein junges Phänomen. Den Deutschen Buchpreis gibt es seit 2005, jenen der Schweizer seit 2008 – und Österreich hat seit 2016 seinen mit insgesamt 45.000 Euro üppig dotierten Österreichischen Buchpreis, der sich anschickt, "die Qualität und Eigenständigkeit der österreichischen Literatur zu würdigen und ihr im gesamten deutschsprachigen Raum die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen".

Das Listenproblem

Zu sagen, dass die noch junge österreichische Auszeichnung und ihre alljährlich wechselnde Jury bisher für große Überraschungen gesorgt hätten, wäre übertrieben. Vielmehr hat man bisher mit dem hiesigen Buchpreis literarische Eulen nach Athen getragen. Die Entscheidungen für Friederike Mayröcker (2016 mit fleurs) und Eva Menasse (2017 mit Tiere für Fortgeschrittene) waren unaufgeregt – und erwartbar.

Ähnliches ließe sich auch von der eben mit großem Trara verlautbarten, zehn Bücher umfassenden sogenannten "Longlist" für den Österreichischen Buchpreis 2018 sagen. Geprägt ist sie von bekannten Autoren wie Arno Geiger, Robert Seethaler, Heinrich Steinfest, Josef Winkler sowie der Schriftstellerin Margit Schreiner. Auch die Namen von Milena Michiko Flasar, Daniel Wisser und Hanno Millesi verfügen in der Branche bereits über einen guten Klang. Überraschend hingegen die Longlistnominierungen von Mareike Fallwickl und Gerhard Jäger. Für den Debütpreis wurden Ljuba Arnautovic, David Fuchs und Marie Gamillscheg nominiert.

Teil des Spiels

Es liegt in der Natur der Sache und gehört zum Ritual, dass in den Feuilletons nach Bekanntgabe der Long- und später der Shortlist (9. Oktober) und nach der Preisvergabe (5. November) sowieso das Wehklagen über die Substanzlosigkeit des im Großraumbüro der deutschsprachigen Literatur Verfassten, über die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen und die Inkompetenz von Literaturjurys im Besonderen anhebt.

Warum, wird dann in Medien aller Art sinniert, ist diese oder jene Autorin nicht auf der Liste, und wie zum Teufel konnte es kommen, dass jener andere, der offenbar mit Nachdruck an der Zerstörung der deutschen Sprache arbeitet, von der Jury berücksichtigt wurde? Dieses Kommentieren und Kritisieren gehört in einer unübersichtlichen Zeit, die Listen und Rankings liebt, und einer Branche, die 200 deutschsprachige Neuerscheinungen pro Tag auf den Markt wirft, zum Spiel. Und es gehört zum Kalkül der Organisatoren, denen es Aufmerksamkeit für ihren Preis garantiert.

Literatur-Konzentration

Dass die Listenbücher dann über Wochen große Teile der Rezensionsseiten in Beschlag nehmen, während weniger Populäres unbesprochen bleibt, ist problematisch. Zumal aus den Verlagen zu hören ist, dass sich die Verkaufszahlen auf immer weniger Autoren konzentrieren, die immer mehr verkaufen. Robert Menasses Roman Die Hauptstadt, der vergangenen Oktober mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, verkaufte sich allein bis Ende vergangenen Jahres 300.000-mal (in neun Auflagen).

Ob mit dem Österreichischen Buchpreis "das beste deutschsprachige belletristische, essayistische oder dramatische Werk einer österreichischen Autorin, eines österreichischen Autors" ausgezeichnet wird und nicht das mit dem größten Marktpotenzial, bleibe dahingestellt. Denn gerade Lyrik und Dramatik schaffen es selten auf die Longlist. Fakt bleibt, dass der Buchpreis Aufmerksamkeit für Buch und Lesen generiert. Und, das ist nicht zu unterschätzen, im besten Fall Diskussionen über literarische Wertung, Markt, Jurys und Ästhetik anheizt. Sie sind nötig, nicht nur in Österreich. (Stefan Gmünder, 5.9.2018)