Auffikraxeln ist für Tiroler Sport und Fortbewegungsart zugleich. Bei der Kletter-WM dürfen ausnahmsweise auch Zuagroaste in die Wand.

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Daheim übernachten statt im Hotel und morgens mit dem Radl zum Wettkampf. Für Jessica Pilz ist die Kletter-WM, die am Donnerstag in ihrer Heimatstadt Innsbruck startet, der Höhepunkt ihrer noch jungen Karriere. Die gebürtige Mostviertlerin zählt mit nur 21 Jahren neben dem Tiroler Jakob Schubert (27) zu Österreichs größten Medaillenhoffnungen bei der ersten Heim-WM seit einem Vierteljahrhundert. Für den Kletterverband (KVÖ) und die Szene ist es "der emotionale Höhepunkt, auf den wir ein ganzes Jahrzehnt lang intensiv hingearbeitet haben", sagt WM-Chef Michael Schöpf voller Vorfreude.

Bis 16. September werden die Stars der Kletterszene in den Disziplinen Vorstieg, Bouldern, Speed und erstmals auch in der Kombination um Medaillen kraxeln. Zudem ermitteln die Paraclimber in Innsbruck die weltbesten aus ihren Reihen. Sportlich ist die WM zugleich die Generalprobe für die Sommerspiele in Tokio 2020. Dort wird erstmals olympisch die Wände hochgegangen, und zwar in der Disziplin Kombination. Eine Kompromisslösung, wie Schöpf erklärt: "Man musste sich entscheiden, welche Disziplin olympisch wird, daher die Kombination aus allen dreien."

Unbeliebtes Speedklettern

Die Athletinnen und Athleten selbst haben damit wenig Freude, weil Speedklettern, also schnellstmöglich eine Wand hoch, als wenig beliebt gilt bei den Stars. Der Tscheche Adam Ondra, Titelverteidiger im Vorstieg und Vizeweltmeister im Bouldern, "hasst" Speedklettern, wie er recht deutlich sagt. Der 25-Jährige gilt als weltbester Felskletterer. Für die WM in Tirol wechselt er wieder auf die künstliche Wand, um seine Titel zu verteidigen und sich auf Olympia vorzubereiten. Denn erstmals wird sich die Weltspitze in Innsbruck in der Kombination messen, und kaum jemand traut sich Siegesprognosen zu.

Österreichs Medaillenhoffnungen Pilz und Schubert sind jedenfalls Vorstiegsspezialisten. In dieser Disziplin gilt es, in sechs Minuten so hoch wie möglich in der Wand zu klettern. Beim Bouldern ist die Aufgabe, ein sogenanntes Problem mit möglichst wenigen Versuchen zu lösen, sprich: zu klettern. Im Unterschied zum Vorstieg findet Bouldern in Absprunghöhe statt, weshalb man dazu kein Seil braucht. Anders als beim Speedklettern sind Routenwahl und Technik bei Vorstiegklettern und Bouldern wichtiger, weshalb die meisten Profis diese Spielarten bevorzugen.

Große Bedeutung

Egal wie viele Medaillen die Österreicher am Ende erklettern, WM-Chef Schöpf zieht schon vor dem Start eine erfolgreiche Bilanz. Denn Klettern wird in den kommenden Jahren noch stark an Bedeutung gewinnen. Tokio 2020 gilt in der Szene als Meilenstein, der den Boom, den der Sport derzeit erlebt, noch zusätzlich befeuern wird. "Dank unseres nachhaltigen WM-Konzepts werden wir in Österreich in den nächsten 20 Jahren weltweit einzigartige Trainingsbedingungen haben."

Mit dem in Hinblick auf die Weltmeisterschaft errichteten Kletterzentrum in Innsbruck steht die derzeit modernste und größte Kletteranlage der Welt zur Verfügung. Der Verband selbst ist in der komfortablen Lage, sich auf Spitzensportförderung zu konzentrieren. Denn um den Breitensport und die Nachwuchsarbeit kümmern sich die zahlreichen Bergsportvereine in Österreich, wie der Alpenverein oder die Naturfreunde. Zudem zählen Kletterwände mittlerweile zur Standardausrüstung bei Schulneubauten und auf Spielplätzen.

Authentisch

Somit dürfte Österreich auf Jahrzehnte hin ein Platz in der Kletter-Weltspitze sicher sein. Das freut neben dem Sport auch die heimische Wirtschaft. Denn touristisch wird das Kraxeln in Tirol längst unter dem Titel "Climbers Paradise" gewinnbringend vermarktet. Und sogar Unternehmen mit Affinität zum Klettern, wie Ausrüster Black Diamond, haben mittlerweile Niederlassungen in Innsbruck gegründet.

Die WM selbst will nicht mit Superlativen, sondern mit Authentizität punkten. Daher finden Schöpf und sein Team mit einem Gesamtbudget von nur 2,8 Millionen Euro das Auskommen. Zwei bis drei Medaillen seien für Österreichs junges Team möglich. Aber viel wichtiger ist für ihn und die Szene: Klettern is coming home. (Steffen Arora, 5.9.2018)