Polly Apfelbaum, 1955 in Abington in Pennsylvania, geboren, studierte Malerei. Ihre erste Einzelausstellung hatte die seit 1978 in New York lebende Künstlerin 1986. Zuletzt war eine ihrer raumgreifenden "Fallen Paintings" bei der diesjährigen Art Unlimited bei der Art Basel zu sehen, am 19. September startet eine große Einzelausstellung der Künstlerin in der Ikon Gallery in Birmingham.

Foto: Sandro Zanzinger / Belvedere, Wien

Wien – Wie auf einem schnurgeraden Regenbogen konnte man 1972 Richtung Philadelphia Museum of Art spazieren. Mit 1500 Liter Farbe hatte Gene Davis, damals einer der wichtigsten Farbfeldmaler, ein 120 Meter langes Streifengemälde wie einen Teppich ausgerollt. Als Teenager tauchte auch Polly Apfelbaum in das einst größte Kunstwerk der Welt ein, schritt es ab. Ein sinnliches Erlebnis, das sich der heute in New York lebenden US-Künstlerin ebenso ins Gedächtnis einbrannte wie das Foto im Time Magazine, das den direkt auf dem Asphalt arbeitenden Gene Davis zeigte.

Werke zwischen Kunst und Leben: Polly Apfelbaums textile Inseln laden zum Verweilen. (Im Hintergrund Stella Rollig und die Künstlerin beim Aufbau der Ausstellung.)
Foto: Sandro Zanzinger / Belvedere, Wien

"Es war eine unglaublich radikale Arbeit: eine vollkommen vom Kontext der Galeriewand und des Museums befreite Malerei", erinnert sich Apfelbaum, die aktuell das zu alter, wandloser Luftigkeit zurückgefunden habende 21er-Haus (Belvedere 21) in einen geradezu farbtherapeutischen Erfahrungsraum verwandelt hat. Sechs Inseln aus Teppichen – Kompositionen in Zitronengelb, Aubergine, Kobaltblau, Tannen- und Laubgrün – installierte die Künstlerin, die in den 1990ern ihre Kunst auf den Boden verlegte und 1996 ihren allerersten Teppich entwarf. Erst Jahre später, 2014, entstand ihre Hommage an den Kollegen, For the Love of Gene Davis, in die sie dessen Fußabdrücke, Farbwalze und -kübel einwob.

Bloßfüßig sehen

Zwar ist diese textile Arbeit, in Wien nicht zu sehen, dennoch verrät sie ein zentrales Motiv in Apfelbaums hybriden, zwischen Objekt und Malerei oszillierendem und mit Handwerk und Design flirtendem Werk. Denn in den Spuren, in denen man auch auf ihren Teppichen wandeln kann – zuletzt auf der Art Unlimited in Basel, öffnet sie nicht nur einen poetischen und assoziativen Raum, der über Tradition, Zeit und Kreisläufe nachdenken lässt. Erst recht, wenn man der Einladung nachkommt, die Schuhe abzustreifen, und bloßfüßig oder in Strümpfen ihre schurwollenen Kontemplationszonen erfühlt. "Everybody is a part of everything anyway", heißt es im verträumten Happiness Runs des Hippie-Folkies Donovan, das der Schau auch den Titel lieh.

You'll stumble in my footsteps: Detail aus Polly Apfelbaums Arbeit "Deep Purple, Red Shoes II", das 2018 bei Art Unlimited auf der Art Basel zu sehen war.
Foto: Sandro Zanzinger / Belvedere, Wien

Füße sind für Polly Apfelbaum aber nicht zuletzt Werkzeuge der sinnlichen Erfahrung: "Mit den Füßen sehen" sagt sie, der die Idee gefällt, Werke nicht zu betrachten, sondern zu bewohnen. Das ist ihre Vorstellung von "Installation". Und so lässt sie das häusliche Textil, das sie lieber "rug" statt "carpet", also eher nach dem meist im Gegensatz zur nobleren Tapisserie Nebenrollen spielenden Läufer, nennt, in den Dimensionen immersiv werden. Groß genug, dass ganze Gruppen Platz darauf finden, denn sie liebäugelt mit der Idee, eine säkulare Version christlich-spiritueller Versammlungsräume zu kreieren. Apfelbaums Werke würden multifunktional.

Ausstellungsansicht "Polly Apfelbaum. Happiness Runs" im nun wieder offenen, wandlosen ersten Obergeschoß des ehemals 20er-Haus genannten Belvedere 21. Karl Schwanzers Architektur lässt der von Direktorin Stella Rollig initiierte Rückbau wieder voll zur Geltung kommen. Vorne ist Apfelbaums Installation "Face (Geometry) (Naked) Eyes" von 2016 zu sehen, die das Resultat von der Beschäftigung der Künstlerin mit Spiritualität und der Universalität von Religionen und Kulturen ist. Hier integrierte Apfelbaum auch einige keramische Elemente (Perlen an Schnüren), ein Material, das sie neben Textilem oft verwendet.
Foto: Sandro Zanzinger / Belvedere, Wien

Freilich: Bei Skulptur, die zum Feld wird, das betreten werden darf, denkt man zuallererst an Carl Andre. Aber die Stahl- und Kupferplatten, die "Straßen", die der Minimalist auslegte, darf man schon lange nicht mehr beschreiten. Polly Apfelbaums Malerei hingegen füllte erst die Senkrechte, bevor sie später "herabfiel".

Beim Ausstellungsaufbau im Belvedere 21 (21er-Haus)...
Foto: Sandro Zanzinger / Belvedere, Wien

Ihre "Fallen Paintings" ergossen sich wie ein Blütenregen über den Boden. Aus intensiven, oft noch mit Farbe beklecksten Synthetikstoffen – sie nannte die Serie lautmalerisch "splats", also "Platsch" – schuf die Humorbegabte Skulpturen, die nur ein temporäres Dasein fristeten. Aber sie hasste es, dass diese fröhlichen Blumeninstallationen zu einem Markenzeichen wurden. Also wandte sie sich wieder Abstrakterem zu.

Einnehmend genug wären die Ausflüge in Apfelbaums Welt der Farben und des Textils – und entschleunigend obendrein. Bestechend wird ihr Werk letztlich durch seine feministische Note. Sie sucht das mit Weiblichkeit behaftete "Stigma" textilen Kunsthandwerks zu überwinden. Auch der Begriff "Design" diente oft dazu, die Arbeit von Frauen zu marginalisieren, so Polly Apfelbaum. "In Wirklichkeit wurde in diesen Genres seit langem Kunst gemacht". (Anne Katrin Feßler, 7. 9.2018)