Bundeskanzler Sebastian Kurz (Mitte) hat dem CSU-Politiker Manfred Weber (rechts) seine Unterstützung ausgesprochen. Auch Othmar Karas (links) kann auf Kurz zählen.

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Parteikongresse haben in der Regel etwas Lähmendes an sich. Die Tagesordnung ist lang. Stundenlang debattieren Delegierte und Experten über ihre Probleme und die in der Welt. Das öffentliche Interesse und das der Medien halten sich in engen Grenzen. So wäre das im Normalfall wohl auch am Donnerstag gewesen, als sich die Abgeordneten der Fraktion der europäischen Christdemokraten (EVP) im EU-Parlament unter der Führung ihres Chefs Manfred Weber in einem Wiener Innenstadthotel trafen.

Noch vor wenigen Wochen war vorgesehen, dass es dabei um die Vorbereitung der parlamentarischen Herbstarbeit gehen soll. Der Brexit steht vor der Tür. Kommende Woche soll EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Plenum in Straßburg seine "Rede zur Lage der Union" halten. Und dann ist da noch Viktor Orbán, dessen Fidesz-Partei ein wichtiges, aber umso umstritteneres Mitglied der EVP-Fraktion ist. Am Mittwoch wird das EU-Parlament darüber abstimmen, ob es gegen Ungarn ein Artikel-7-Verfahren zum Entzug des Stimmrechts in EU-Gremien geben soll, weil die ungarische Regierung notorisch gegen Grundrechte und Meinungsfreiheit verstoße.

Weber als Spitzenkandidat

Aber an diesem Fraktionstreffen in Wien war von Anfang an nichts routiniert, nachdem Weber am Tag davor bekanntgegeben hatte, dass er sich um die Position des gemeinsamen Spitzenkandidaten der EVP bei den Europawahlen bewerben werde, Anspruch auf den Posten des nächsten EU-Kommissionspräsidenten erhebe. Bei den EU-Abgeordneten sorgte dies für beste Stimmung.

Dass die Umstände außergewöhnlich sind und die Christdemokraten schon ganz auf die Wahl ausgerichtet sind, zeigte sich auch daran, dass Weber gemeinsam mit dem örtlichen Gastgeber Othmar Karas den ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz als Hauptredner eingeladen hatten. Es war auffällig, wie vertraut und lange die drei sich gemeinsam zeigten, schon zu Beginn vor dem Hotel auf dem Trottoir die Köpfe zusammensteckten.

Der Kanzler ließ keinen Zweifel aufkommen, worum es gehe: "Ich bin froh, dass Du Dich getraut hast, den Schritt nach vorne zu machen", sagte er auf der Bühne Richtung Weber, "wir freuen uns, mit Dir und für Dich zu laufen." Es riecht ganz nach Wahlkampf im Hotel.

Später, bei einer Pressekonferenz mit Weber, legt er auf Nachfrage, ob der Spitzenkandidat des Wahlgewinners fix Kommissionschef werden solle, nach. Er halte es für richtig, dass es dieses Modell gebe, weil damit mehr Bürgernähe geschaffen werde: "Daher bin ich auch der Meinung, dass derjenige, der die Wahl gewinnt, auch Kommissionspräsident werden sollte." Kurz ist der erste EU-Regierungschef, der sich festlegt. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch noch offen gelassen, ob am Ende auch ein anderer es werden könnte.

"Jeder ist wichtig"

Weber gibt seinen Abgeordneten die inhaltliche Linie für das Wahljahr vor. Unter dem Motto "Neue Fairness für Europa" werde es vor allem darum gehen, die EU wieder stärker an die Bürger und ihre Bedürfnisse heranzuführen, aber auch den sozialen Aspekt mehr in den Vordergrund zu rücken: "Jeder ist wichtig", das sei "die Botschaft von Wien". Im großen Umbruch von Globalisierung und Digitalisierung müsse man den Menschen mehr Sicherheit geben. Grund- und Freiheitsrechte seien unverzichtbar, dabei dürfe es "keinen Rabatt geben".

Inhaltlich ganz auf einer Linie mit ihm tritt Karas auf. Eindringlich fordert er ein, dass "wir alles tun müssen, damit die Grundrechte unsere gemeinsame Grundlage sind. Wir wollen die Welt fairer machen." Zwischendurch kann man den Eindruck haben, Weber und Karas würden sich direkt an Kurz wenden, der eine Koalition mit der rechtsnationalen FPÖ führt. Weber sagt, dass die Christdemokratie gegen die Rechtspopulisten klar Position beziehen müsse. Diese hätten keine Lösungen, wollten die EU schwächen. Darauf geht Kurz nicht ein, betont aber die Notwendigkeit einer starken EU.

Auf die Frage, ob sie alle drei die Leitfiguren im Wahlkampf sein würden, Karas also im Team, findet der Kanzler extra lobende Worte für seinen Parteifreund in Straßburg: "Wir haben hier zwei wichtige Player der EVP erlebt, zum einen den derzeitigen Fraktionschef, zum anderen unseren Delegationsleiter Othmar Karas." Beide arbeiteten seit 14 Jahren gut zusammen. Es klang, als säße Karas auf einem sicheren Wahlticket. (Thomas Mayer, 6.9.2018)