Prozessfinanzierer haben es zum Geschäftsmodell gemacht, kleinen Leuten zu ihrem Recht zu verhelfen – und dabei mitzuschneiden.

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Für Ulrike Wolf handelt es sich um eine "Win-win-Situation". Einerseits würden geschädigte Konsumenten zu ihrem Recht kommen, andererseits sei mit Prozessfinanzierern eine Branche entstanden, die eine Gerechtigkeitslücke schließe, führt die Leiterin des Teams Sammelklagen beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) aus. Diese Firmen übernehmen Prozesskosten auf eigenes Risiko und schneiden im Gegenzug beim Schadenersatz mit – der Otto Normalverbraucher allein gegen Konzerne mit unzähligen, spezialisierten Anwälten wohl nie zugesprochen würde, sofern er nicht über eine Deckung durch eine Rechtsschutzversicherung verfügt.

"Mit Sammelklagen haben wir gute Erfahrungen gemacht", sagt Wolf. Dabei müssen in Österreich die Ansprüche vieler Geschädigter auf einen Sammelkläger übertragen werden, der dann das Inkasso auf dem Gerichtsweg betreibt – also ein großer Aufwand ungewissen Ausgangs, denn der Prozess kann auch verloren werden. "Das ist mit enormen Kostenrisiken verbunden", betont die Expertin, "das könnte der VKI allein nicht übernehmen."

Gewisse Mindestsummen

Damit Prozessfinanzierer wie der 2001 gestartete Österreich-Pionier Advofin in die Bresche springen, bedarf es allerdings einer gewissen Schadenssumme, die Vorstand Gerhard Wüest für Einzelprozesse mit einer halben Million Euro beziffert. Bei einem Sammelverfahren schafft die Masse das Volumen. Bei tausenden Geschädigten, die alle denselben Anspruch haben, "gehen wir bis auf 100 Euro herunter", sagt Wüest. Sonst liegt die Untergrenze bei Massenverfahren wie Lebensversicherungen, wo sich jeder Fall unterscheide, bei 1000 Euro.

"Wir machen fast nur noch Sammelklagen", erklärt Wüest, "Massenverfahren sind unser Geschäft geworden." Das Modell dahinter: Advofin finanziert die Prozesskosten ohne Risiken für die Geschädigten, verlangt dafür aber zwischen 25 und 40 Prozent des Erlöses. Jeder zehnte Prozess geht Wüest zufolge verloren, was wegen Gerichts- und Anwaltskosten einen Verlust von rund einem Viertel des Streitwerts bedeute.

"Größe schreckt uns nicht ab", sagt Wüest. Wenn ein Fall zu umfangreich ist, um allein gestemmt zu werden, holt er Geldgeber wie Fonds mit an Bord, die Rechte und Pflichten anteilig übernehmen. Derzeit hat Advofin sechs Massenverfahren am Laufen und bereitet ein weiteres wegen des Lkw-Kartells vor. Worauf sich Wüest nicht mehr einlassen will, sind Fälle aus der Baubranche oder der Medizin, da ein Mindestmaß an Objektivität fehle und es daher oft zu einem "Gutachterstreit" komme.

Branche wächst

Dennoch brummt das Geschäft. "Prozessfinanzierer entwickeln sich als Markt gut", erklärt der Advofin-Vorstand. "Die Branche wächst auf jeden Fall", bestätigt Christian Stürwald vom international tätigen Prozessfinanzierer Calunius Capital. "Es fließt auch viel Investitionskapital in die Branche."

Allerdings liegt die Einstiegsschwelle bei Calunius höher: "Wir legen derzeit einen Mindeststreitwert von etwa zehn Millionen Euro zugrunde, sowohl für Einzel- wie für Sammelverfahren", sagt Stürwald, "da komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten regelmäßig Kosten von nicht unter einer Million auslösen." Wirtschaftsanwälte würden nach Stundenhonorar abrechnen, bei jahrelangen Verfahren summierten sich die Kosten. Dafür verlangt Calunius "zwischen 20 bis 30 Prozent als Daumenregel" vom Schadenersatz.

VKI-Expertin Wolf bemängelt jedoch das Fehlen einer echten Sammelklage in Österreich, die kostengünstiger sei und für alle Betroffenen gelten würde. Erfahrungsgemäß ließen sich nämlich nur maximal zehn Prozent der Geschädigten dafür gewinnen, sich aktiv für eine Massenklage zu melden. Alle anderen würden durch die Finger schauen. Die derzeitige Lösung für Massenverfahren ist aus ihrer Sicht daher "nur eine Krücke" – die der VKI übrigens mit einem Wiener Rechtsanwalt im Jahr 2000 nach Massenerkrankungen von Urlaubern in einem Clubhotel ersonnen hat. (Alexander Hahn, 9.9.2018)