Wien – Richterin Andrea Philipp-Stürzer macht in ihrer Urteilsbegründung im Verfahren gegen Gerhard P. aus ihrem Herzen keine Mördergrube. "Ich bin sehr froh, nicht in diesem Haus zu wohnen, und ich bin froh, nicht am Zivilgericht zu sein", verrät sie dem unbescholtenen 59-Jährigen. Der muss sich für ein in Wien praktisch unbekanntes Delikt verantworten: Paragraf 230 im Strafgesetzbuch, die Versetzung von Grenzzeichen. P. soll nämlich in der Garage seines Wohnhauses die Begrenzungslinien seines Parkplatzes illegal gezeichnet haben.

Bis zu zwei Jahre Haft drohen dem Angestellten für das Vergehen, das an sich eher für Grenzsteine im ländlichen Raum gedacht ist – tatsächlich gab es laut Statistik Austria im Vorjahr drei Verurteilungen deswegen. Der Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft, die mit 46 Prozent größter Eigentümer des Hauses ist, will zusätzlich 100 Euro Schadenersatz.

Zwei Parkplätze gekauft

Der Angeklagte bekennt sich nicht schuldig. "Dieser Parkplatz ist ein Spielball, seit Jahren!", erklärt er der Richterin. Vor zwölf Jahren habe er sich die Wohnung in Wien-Donaustadt gekauft, samt dem Garagenstellplatz 139. Vor rund zehn Jahren kaufte er einen weiteren Parkplatz, auf seinem alten stellte er Motorrad und Anhänger ab und ließ Besucher dort parken.

Probleme gab es jahrelang nicht, bis vor zwei Jahren die Wohnbaugesellschaft eine neue Hausverwaltung engagierte und P. sich dagegen aussprach. "Während ich 2017 auf Urlaub war, hat irgendjemand die Parkplatzlinie mit blauer Farbe übermalt", sagt er und legt Fotos vor. Er erstattete Anzeige und machte einen Hausaushang, danach wurde plötzlich die blaue Farbe schwarz übermalt.

Im Jänner 2018 wiederum malte laut P. ein Unbekannter eine weiße Linie – die ihm vier Quadratmeter mehr Platz in der Garage verschaffte. "Ich habe dort aber nie was hingestellt, sondern habe sogar den Hänger entfernt", beteuert er. Der Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft klagte dennoch, beim Bezirksgericht einigte man sich, dass P. auf eigene Kosten wieder den ursprünglichen Zustand herstellte.

Heckscheibe von Unbekannten eingeschlagen

"Es gibt in dem Haus immer wieder gerichtliche Auseinandersetzung", verrät der Angeklagte. Nicht nur das: "Ich bin in der Garage ein Verfolgter. Einmal wurde die Heckscheibe bei meinem Auto eingeschlagen!" Ein weiterer Zeuge bestätigt ebenfalls, dass es mit dem Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft immer wieder Schwierigkeiten gebe, die diverse Behörden beschäftigen. Nicht nur in der Garage, auch in anderen Teilen des Gebäudes würden Linien aufgezeichnet und Flächen dann beispielsweise als Motorradabstellplätze vermietet.

Der angesprochene Geschäftsführer sagt als Zeuge, er wisse nichts von Malerarbeiten in der Garage im vergangenen Jahr. Er habe nur die neue Linie bemerkt und das angezeigt. Eines gesteht er aber auch zu: "Es gibt einen Haufen Streitereien in dem Haus."

Am Ende spricht Philipp-Stürzer P. rechtskräftig frei. "Es gibt keinen Beweis, dass Sie den Stellplatz erweitert haben", resümiert sie und wünscht dem Angeklagten noch alles Gute für die Zukunft. Der ist angesichts der verhärteten Fronten skeptisch. "Ich mach' das jetzt alles nur noch über den Rechtsanwalt, den ich mir genommen habe", skizziert er seine künftige Strategie. (Michael Möseneder, 7.9.2018)