Derzeit ziert noch die Henne, die den Stand der Crowdfunding-Aktion zeigt, das Schaufenster.

Foto: Fischer

Bernd Fischer hat im Nahversorgungs-Business sein ganzes Glück gefunden.

Foto: Der Standard

Die Nahversorger-Genossenschaft im oberösterreichischen Losenstein.

Foto: Der Standard

Das unscheinbare Geschäftslokal direkt im Zentrum der kleinen Ennstal-Gemeinde Losenstein ist der Schicksalsort von Bernd Fischer. Hoffnung, Aufbruch, Zusammenbruch und Neuanfang reihen sich hier aneinander wie einst die Ware im Supermarktregal. Der gebürtige Kölner, den die Liebe nach Oberösterreich verschlagen hat, wirkt auf den ersten Blick nicht so, als könnte ihn irgendetwas aus der Bahn werfen: großgewachsen, stattliche Figur, breites Lächeln – voller Tatendrang.

Und doch hat in den letzten Jahren das Leben des 48-Jährigen in dem 1604-Seelen-Dorf am Fuße des Schiefersteins eine entscheidende Wende genommen. Bis zum Jahr 2011 ist Bernd Fischer als Ergotherapeut in einer psychiatrischen Klinik tätig. Arbeitet mit Menschen, die "irgendwann einmal alle aus dem Hamsterrad gekippt sind". Dauerstress, Erschöpfung, Burn-out – Bernd Fischer unterstützt tagtäglich Menschen dabei, sich mühsam wieder ins Leben zurückzukämpfen. In ein System, das sie letztlich krank gemacht hat. Dieses Faktum ist es auch, das Fischer umdenken lässt.

Dann kam die Umwidmung

Just als der Wunsch nach Veränderung keimt, neigen sich in Losenstein die Tage des kleinen Nah-&-Frisch-Geschäfts dem Ende zu. Ein Nachfolger ist schwer zu finden, da sich hartnäckig die Gerüchte halten, am Ortsrand werde bald ein Grundstück umgewidmet, um einen Billa zu eröffnen. Bernd Fischer wird beim damaligen Bürgermeister vorstellig – und übernimmt, nach der klaren Auskunft, dass keine Umwidmung geplant sei, kurzerhand den Nahversorger im Ort. Nur zwei Wochen später beschließt der Losensteiner Gemeinderat die Umwidmung.

Doch der Laden im Ort läuft zunächst gut. Fischer setzt auf regionale Produkte – hausgemachte Marmelade, Obst, Gemüse und Nudeln. "Der beliebteste Raum war das Wohnzimmer. Ein Raum mit Sofa, Kaffeemaschine und einem Schenkregal", erinnert sich Fischer im Standard-Gespräch. Gemeinsam mit der Trafikantin und dem Fleischhauer erhält der Kaufmann 2013 den "Regionalitätspreis".

Doch die gelbrote Konkurrenz am Ortsrand setzt Bernd Fischer immer mehr zu. Der Umsatz bricht ein: "2015 habe ich bis zu 70 Stunden pro Woche umsonst gearbeitet." Irgendwann spielt der Körper nicht mehr mit – Burn-out.

Zurück in den Alltag

Der Weg zurück in den Alltag ist hart, doch Bernd Fischer meistert gemeinsam mit seiner Familie die Hürden. Und kehrt irgendwann einmal zurück an seinen Schicksalsort. Nicht um abzuschließen, sondern um neu durchzustarten. "Es klingt pathetisch, aber ich hatte und habe das Gefühl, hier 'eine Aufgabe' zu haben, die meinem Leben Sinn gibt", erzählt Fischer, während er durch das noch leere Geschäft blickt. Was sich aber mit November ändern wird. Fischer hat das Genossenschaftsprinzip wiederbelebt und für seine Geschäftspläne adaptiert. "Um's Egg" ist ein Zusammenschluss aus Lieferanten und Kunden.

64 Mitglieder umfasst die Genossenschaft derzeit. Wer dabei sein will, kann sich mit 300 Euro einkaufen. Und hat dann die Möglichkeit, rund um die Uhr einzukaufen. Fischer: "Alles basiert auf dem Selbstbedienungsprinzip, bis hin zur Kassa. Dienstag, Freitag und Samstag ist das Geschäft aber für alles zugänglich, und es werden auch zwei Verkäuferinnen im Geschäft sein." Von den 54.000 Euro Eigenkapital hat die Genossenschaft bereits 35.000 Euro aufgestellt. Der Rest soll über eine derzeit laufende Crowdfunding-Aktion lukriert werden.

Kampf mit Behörden

Der 48-Jährige fungiert als Geschäftsführer und ist bei der Genossenschaft angestellt. Zu kämpfen hat man momentan vor allem noch auf behördlicher Seite. Insbesondere die durchgehenden Öffnungszeiten sind manchem ein Dorn im Auge. Vielleicht auch, weil die Erfahrung mit einer Solidargemeinschaft in der Region fehlt. Die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land verbuchte in den letzten 30 Jahren nur drei Genossenschaftsgründungen. Bernd Fischer nimmt das locker und weiß: "Ich habe immer nach einem Ansatzpunkt für eine tiefgreifende Änderung gesucht. In diesem Geschäft ist meiner." (Markus Rohrhofer, 8.9.2018)