Kirchenglocken wecken mich. Ich renne zum Bus, weil ich den auf keinen Fall verpassen darf, obwohl ich nicht weiß, warum. "Nach Andelsbuch". Der Busfahrer versteht nicht. "Nach Andelsbuch!", schreie ich nochmal. Er versteht immer noch nicht. Die Fahrgäste schauen mich schon an, tuscheln, schütteln die Köpfe und ein Huhn gackert über die Fahrbahn. Bis mich die Kirchenglocken erneut wecken.

Ja, nach der gestrigen Eröffnung des FAQ-Festivals träumt es sich wild im Bregenzerwald. Die allmorgendliche Yoga-Session mit Marcus Felsner verpasse ich somit. Dafür gibt’s am zweiten Tag eine ordentliche Portion Sprachkritik zu Mittag: Alice Lanzke, die sich mit den Neuen deutschen Medienmachern für diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch einsetzt, fragt "wollen wir das noch sagen?". Falls jemand vorher noch unsicher gewesen sein sollte, warum das wichtig ist, Lanzke bringt es unaufgeregt auf den Punkt: "Sprache schafft Wirklichkeit". Wumms. Sie empfiehlt, möglichst wertfreie Begriffe zu benutzen und gibt dazu einen Glossar als Hilfestellung heraus. Der Applaus ist kräftig – schade, dass es zu keiner Fragerunde kommt.

"Was willst du?" im Werkraum
Foto: Ian Ehm/friendship.is

Generationenfragen

Aber gut, es geht auch gleich weiter, das FAQ-Programm hat Einiges vor. Vom Bahnhof Andelsbuch sind es auch nur wenige Schritte rüber zum Werkraum, wo sich die Diskutanten fragen "Was willst du?". Jannike Stöhr beispielsweise hat das herausgefunden, indem sie 30 Jobs in einem Jahr gemacht hat. Man müsse doch erst eine Vorstellung von etwas bekommen, bevor man sich entscheidet, findet sie. Johannes Kopf, seines Zeichens Vorstandsmitglied des Arbeitsmarktservices, stimmt zwar zu, unser Schulsystem komme viel zu praxisfern daher, aber diese Sinnfrage, die sei eben auch Luxus. Und Stefan Pohl kam eigentlich nur durch einen Zufall zum Schauspielern. Schön, dass auch noch Bäuerin Theresia Schneider mit auf dem Podium sitzt. Als solche, sagt sie, macht sie täglich 1.000 Berufe gleichzeitig.

Foto: Ian Ehm/friendship.is

Die anschließende Waldbähnlefahrt lässt mich fürchten, gleich erneut von Kirchenglocken geweckt zu werden, aber nein, das ist kein Traum, das ist alles real und sogar die Käse-Automaten, die hier an jeder Ecke stehen, gibt es wirklich. Ich glaube, die könnten sich à la longue weltweit durchsetzen, aber vielleicht täusche ich mich da auch: Käse-Automaten in Nordkorea? Naja, dort jedenfalls wird gerade der 70. Geburtstag der Staatsgründung gefeiert und da Wolfgang Bauer eingeladen wurde, kommt er leider nicht zum FAQ. Schade. Wir schauen stattdessen einem Paraglider zu, wie er nach Bezau hinunter segelt und lauschen andächtig der Musik von Lùisa.

"Krisen machen lebendig"

Zum Tagesabschluss geht es in die mächtige Kaufmann Zimmerei in Reuthe, wo Prinz Asfa-Wossen Asserate seine Keynote zur Frage "Ist das mein Problem?" verliest. Asserate ist Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, Unternehmensberater und Autor – und veröffentlichte zuletzt das Buch "Die neue Völkerwanderung". "Ihr tut so, als würdet ihr uns helfen und wir tun so, als würden wir uns entwickeln" – so bringt er die Verfehlungen in der Beziehung zwischen der EU und Afrika auf den Punkt. Vor allem die Appeasement-Politik mit den afrikanischen Gewaltherrschern kritisiert er, es brauche politische Entwicklung und nicht nur wirtschaftliche.

Auch die anschließende Diskussionsrunde mit Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid weiß zu fesseln, vor allem deshalb, weil das Podium erneut angenehm heterogen besetzt ist. So gesellt sich neben Agnes Aistleitner (eröffnete eine Textilfabrik in Jordanien) und Alois Flatz (Mitbegründer des Dow-Jones-Sustainabilty-Index) auch Cecily Corti. Corti, die mit VinziRast Obdachlosen einen Schlafplatz bietet, versucht den Fokus der Runde vom Ökonomischen auf das Menschliche zu rücken; viel bewegen lasse sich schließlich auch dann schon, wenn man sich wertschätzend begegne.

Grandbrothers.
Foto: Ian Ehm/friendship.is

Spannend auch die Fragen aus dem Publikum. Welche Rolle, so wird da beispielsweise nachgehakt, spiele denn die Rüstungsindustrie in der ganzen Geschichte. Keine, die Veränderungspotential biete, glaubt Asserate. Hmm. Diskussionspotential jedenfalls bietet sich noch lange – worunter dann die Klavierklänge der Grandbrothers leider ein wenig leiden. Die würde ich gerne nochmal in Ruhe live sehen, denke ich und dann denke ich auch schon bald gar nichts mehr und falle halbtot ins Bett; zurück zu den wilden Träumen. (Clemens Bruno Gatzmaga, 8.9.2018)

Der FAQ-Festival-Blog ist eine Medienkooperation zwischen DER STANDARD und friendship.is.

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