SPÖ-Chef Christian Kern will linke Themen forcieren, ...

Foto: APA/Neubauer

... der burgenländische SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil steht eher für rechte.

Foto: APA/Roland Schlager

Uwe Jun konstatiert, dass der Sozialdemokratie "seit Jahren die große Erzählung, wie sie sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts vorstellt", fehle. "Hier gibt es keinen Entwurf, keine Idee. Sie betreibt nur pragmatische Tagespolitik. Die Sozialdemokratie hat es nicht geschafft, neue Meinungsführerschaften zu übernehmen, sie hat außer der sozialen Gerechtigkeit kein weiteres Kompetenzfeld mehr aufgemacht", sagt Jun. "Die Befreiung der Arbeiter von den Ketten ist vorbei", bekräftigt dessen österreichischer Politologenkollege Peter Filzmaier den Befund, "der Kampf um den Wohlfahrtsstaat war erfolgreich. Diese Geschichten funktionieren nicht mehr. Auch die SPÖ braucht dringend ein neues Narrativ."

Für SPÖ-Chef Christian Kern sind diese Beurteilungen zu eindimensional. Es gehe um mehr als "eine Erzählung", vielmehr um den sozialen Zusammenhalt, den gesellschaftlichen Ausgleich, die Solidarität und zentral um die soziale Gerechtigkeit. Und in der langen Tradition der Partei stehe auch der Kampf um die Einhaltung und Erhaltung des Rechtsstaates ganz oben auf der Agenda.

"Entscheidend ist auch die ökonomische Kompetenz, die neuen Technologien und wie wir diese für die Zukunft nützen können, um den Wohlstand zu stärken. Wir müssen da neue Wege gehen. Immerhin wird sich die technologische Entwicklung auf alle Felder der Gesellschaft, von der Pflege, der Bildung bis zur Gesundheit auswirken", argumentiert Kern.

Peter Filzmaier rät der SPÖ dennoch, zumindest eine sehr "fokussierte neue Geschichte" zu erzählen. Der Inhalt müsse von der "Chancengleichheit" handeln, vom Zugang zur Bildung bis zum Arzttermin. "Chancengleichheit ist insofern ein wichtiger Begriff, weil hier die Unzufriedenen, jene die sich benachteiligt fühlen und zur FPÖ abgewandert sind, angesprochen werden können."

Der Erfolg der Sozialdemokratie hänge natürlich auch vom Zustand des politischen Gegenübers ab, daher werde es interessant sein zu beobachten, ob rechte Regierungen wie in Österreich reüssieren. "Wenn Wähler sehen, dass diese Modelle scheitern, könnten die Sozialdemokraten als Mitgewinner hervorgehen", sagt Jun.

Davon hält Filzmaier wenig: "Zu warten, dass sich die FPÖ selbst aufhängt, kann keine Strategie sein. Das ist, wie wenn der Fußballtrainer die Parole ausgibt, wir warten ab, der Gegner wird schon ein Eigentor schießen."

Mehrheit im Land ist rechts

Was für die Sozialdemokratie in Österreich erschwerend hinzukommt: Seit 1979, seit der Absoluten des Bundeskanzlers Bruno Kreisky, hat es bundesweit keine linke Mehrheit mehr gegeben. "Die Mehrheit Österreichs ist tendenziell rechts orientiert", sagt Filzmaier. Was der SPÖ ganz speziell beim Migrationsthema, das die Sozialdemokratie in ganz Europa durchschüttelt, zu schaffen macht. Die SPÖ plagt sich ja bereits seit den 1980er-Jahren in der Auseinandersetzung mit der FPÖ mit diesem Thema.

Sie versuchte immer wieder – ziemlich erfolglos – mit "rechten" roten Innenministern wie Franz Löschnak oder Karl Schlögl hier Terrain zu gewinnen. Exverteidigungsminister Hans Peter Doskozil steht aktuell in dieser Tradition. "Ein rechter Kurs hat der Sozialdemokratie in ganz Europa im Grunde bisher wenig bis nichts genutzt", sagt Uwe Jun.

SPÖ-Chef Kern bekam die Sprengkraft dieses Themas zu spüren, sie kostete ihn das Kanzleramt. "Wir haben da Fehler gemacht und haben das Thema Migration nicht entschlossen genug durchgestanden und hart diskutiert. Wir hatten Angst, es hat ein Powerplay gegen die SPÖ gegeben – gegen unseren differenzierten Ansatz. Die Menschenrechts- und Flüchtlingskonvention bleibt für uns jedenfalls unverrückbar, die sind für die SPÖ in Stein gemeißelt", sagt Kern. "Eines ist klar: Wenn wir die Integration politisch nicht schaffen, stehen wir vor einem Scherbenhaufen der Gesellschaft", warnt Kern. Doskozil und Kärntens SPÖ-Chef Peter Kaiser legen dieser Tage nun einen Versuch einer roten Asyllinie vor.

Trotz aller dunklen Vorzeichen sieht Kern für Österreichs Sozialdemokraten wieder etwas Licht. Die SPÖ stehe konstant bei 29 Prozent. "Europaweit ein außerordentlicher Wert", bemerkt auch Uwe Jun. Und: Einer neuen Umfrage zufolge liege die SPÖ bei den unter 39-Jährigen bereits fünf Prozentpunkte vor der ÖVP. (Walter Müller, 10.9.2018)