Der aus dem Pinzgau stammende Erfolgsautor Wolf Haas auf Motivsuche: Kunst du net einen Roman über deine eigene Pubertät schreiben?

Foto: Heribert Corn

Wenn man jungen Leuten so richtig ordentlich auf den Zeiger gehen will, muss man ihnen zweierlei vermitteln: Erstens ist die Jugendzeit die schönste Zeit der Welt. Alles ist noch halbwegs neu, alles irgendwie geil. Selbst dem Weltschmerz und überzogenen Lebensüberdruss wegen Zurückweisung, Liebesverweigerung, dickem Wanst, schiefer Nase, zu wenig Schamhaaren oder Hausarrest wegen Vorfällen in der Nacht von Samstag auf Sonntag beim Heimkommen von der Rüscherldisco kann man in der Ersterfahrung noch interessante Seiten abgewinnen.

Zweitens sind die Youngsters erwiesenermaßen natürlich viel zu deppert, diese Lebensanspannung ordentlich zu genießen. Wie denn, wenn man das Herz auf der Zunge und das Hirn in der Hose hat?! Daraus folgt, dass die Jugend es aus älterer Sicht im Wesentlichen gar nicht verdient, jung zu sein. Besser wäre es, wenn die Alten die Möglichkeit hätten, wieder voll im Saft zu stehen. Blöd nur, dass das Gescheitsein oder zumindest das G'scheiteln auch noch nie dafür garantiert hat, dass das Leben vom Genussfaktor her gesehen besser, inhaltsreicher, erlebnisintensiver wird – oder speziell das Sexleben wegen der Kraft des Geistes explodiert.

Der österreichische Autor Wolf Haas macht wieder einmal von seinem Lebensmenschen Pause, dem für das Leben in mittlerweile dings Romanen nicht sonderlich begabten Ermittler Simon Brenner. Die neue Arbeit nennt sich Junger Mann. Es handelt sich dabei um einen nicht allzu dicken Band, der die literarische Fachwelt durchaus zu Vermutungen und Unterstellungen bezüglich autobiografischer Winke des Autors mit dem Zaunpfahl anregen wird. Immerhin kommt in Junger Mann ein gewisser Icherzähler vor, dessen Vater einmal mit "Herr Haas" angesprochen werden wird.

Vogel und Schweinehund

Wolf Haas als Mensch, der sich mittlerweile im besten ÖBB-Frührentenalter befindet, hat sich offenbar dazu entschieden, sich ein wenig wehmütig an die schöne, suprige, manchmal gar nicht so tolle, oft auch nervige, sehr oft ordentlich arschige und immer wieder unerträgliche, zumindest aber vom Innerlichen her konstant aufregende Jugendzeit zurückzuerinnern:

"Schon vor längerer Zeit hatte ich ein Naturgesetz entdeckt: Wenn man etwas sehr Schönes erlebte, passierte immer gleich etwas entsprechend Schreckliches." Man liest und erinnert sich an die eigenen jungen Jahre. Besser ist es seitdem zwar auch nicht geworden, aber man konnte das ja nicht schon damals wissen.

Draußen ist im halbwegs abgesicherten Umfeld des unteren Mittelstands und flachgehaltenen Kleinbürgertums bis zur Pubertät und dem Erreichen der Strafmündigkeit faktisch gesehen eh meist fast nichts los. Deshalb geht es im Kopf bezüglich Ereignisballungen rund um den eigenen Vogel oder den inneren Schweinehund dementsprechend intensiver zu.

Ein gewisses Autoren-Ich wächst also während der Siebzigerjahre zur Zeit der "Ölkrise" und der Wochentagsaufkleber auf Autos (Gugelst du!) im Salzburger Pinzgau auf. Der Vater ist – bei guter Laune, weil in Ruhe gelassen – auf Alkoholentzug in der Landesnervenklinik draußen in der Hauptstadt drüberhalb des "deutschen Ecks". Die Mutter geht ihrer Helikoptermutterschaft mit der populären Strategie nach, allen Menschen in ihrer Umgebung ein schlechtes Gewissen zu machen.

Wuzel und Tscho

Der 14-Jährige ist ungewöhnlich groß für sein Alter und mindestens ebenso schüchtern – und er leidet erheblich, also weite Teile des Buches bis hin zum Kalorientabellenwahn darunter, ein von seinen Tanten wegen einer Haxenbruchgeschichte mit Bounty, Mars und Nuts angefütterter "dicker Wuzel" zu sein. "Am Rücken schlanker als vorne", heißt es einmal. Das ist der Milky Way.

Während seines Ferialjobs auf der örtlichen Tankstelle lernt der Wuzel den Fernfahrer "Tscho" kennen. Der führt ihm eindrücklich vor, wie man unbewältigte pubertäre Minderwertigskeitgefühle zehn Jahre später durch übertriebene Coolheit, Maulfaulheit, Kettenrauchen und eine kontraphobische Lebenseinstellung überdecken kann.

Unser Titelheld verschaut sich beim Auftanken und Eisabspachteln der Windschutzscheibe (Renault 5!) weiters in dessen Freundin Elsa. In die verliebt er sich mindestens unsterblich. Das hat einen strengen Diätplan und keine wohlmeinenden Gedanken in Sachen Tscho zur Folge; guter Teil des Buches, wir erinnern uns.

Irgendwie mündet das Ganze schließlich in einer Reise von Wuzel gemeinsam mit seinem Nebenbuhler Tscho im Scania-Laster am Watschenbaum vorbei durch den Balkan runter nach Thessaloniki. Wir durchleben fetthaltige Speiseangebote, Angst vor dem Tod, einen Puffbesuch und eine gewisse dramatische Zuspitzung.

Der Weg dorthin erinnert ein wenig an die skurrilen Abenteuer des Tschick von Wolfgang Herrndorf. Erzählt wird von Wolf Haas gewohnt schlank und umgangssprachlich. Englisch lernen wir dabei auch. Kleine Geschichte, große Wirkung. Sie ist lustig. Das Wort "Dings" kommt nicht vor. (Christian Schachinger, 11.9.2018)