Wien – Die Römer fassten sie in Anlehnung an das altgriechische Wort "barbaros" für "Gebrabbel" der Fremden als Barbaren zusammen und prägten damit nachhaltig das Bild von den wilden, schmutzigen und unzivilisierten Völkern jenseits der Reichsgrenzen. Heute kennt man sie nicht zuletzt aufgrund der Berichte römischer Geschichtsschreiber als Vandalen, Franken, Alamannen oder Langobarden. Nach dem Ende des Weströmischen Reichs setzen sich viele dieser Stämme während der wechselvollen Völkerwanderungszeit in Bewegung und suchten sich neue Siedlungsgebiete. Welche Bevölkerungen populationsgenetisch tatsächlich hinter diesen Stammesbezeichnungen stecken, ist teilweise bis heute unklar.

Die Langobarden beispielsweise wurden bereits im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von Tacitus an der unteren Elbe angesiedelt. Dass sie etwas mit jenen Gruppen zu tun haben, die ab dem fünften Jahrhundert Richtung Südosten wanderten und schließlich im sechsten Jahrhundert vom heutigen Ungarn nach Italien zogen, darf bezweifelt werden. Klar ist auch, dass die frühere historische Sichtweise von "geschlossenen Völkern", die damals weitgehend unverändert umherwanderten, so nicht gelten kann – das belegen aktuelle Funde aus langobardischen Gräbern, die eine Forschergruppe mit österreichischer Beteiligung nun im Fachjournal "Nature Communications" präsentierte: Sie kamen offensichtlich im Familienverband und nicht als Männerheere, wie lange Zeit vermutet.

Zahlreiche Beigaben im Grab 53 im Langobardengräberfeld in Collegno bei Turin.
Foto: Soprintendenza Archeologia, Belle Arti e Paesaggio per la Città Metropolitana di Torino

Langobarden in Ungarn und Norditalien

Das Team aus Historikern, Archäologen und Genetikern um Krishna Veeramah von der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York untersuchte zwei Gräberfelder, die schon zuvor als eindeutig langobardisch identifiziert waren. Eines davon, Szolad, ist im damaligen Pannonien und heutigen Ungarn, das andere im norditalienischen Collegno nahe Turin. Die Forscher analysierten dabei, wie die Gräber angelegt wurden, welche Beigaben sie enthielten, und sequenzierten das Erbgut aus den Menschenschädeln und -Zähnen.

Die 45 Gräber in Ungarn stammten wohl von einer mobilen Gruppe von Langobarden-Siedlern, die sich dort nur 20 bis 30 Jahre aufgehalten hat, und wurden um die Mitte des sechsten Jahrhunderts angelegt, berichten die Wissenschafter. Die 57 letzten Ruhestätten in Collegno datierten die Forscher hingegen auf die Zeit zwischen 580 und 630 und ordneten sie einem sesshafteren Verband zu. "Diese beiden Gräberfelder bezeugen die schriftlich überlieferte Wanderung der Langobarden im Jahr 568 von Pannonien nach Italien", sagte Studienmitautor Walter Pohl vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Genetische und kulturelle Unterschiede

In beiden Gräberfeldern setzte sich die Beigesetzten nicht aus bloß nur Männern eines einzelnen Germanenstammes zusammen, wie man sich die Völkerwanderung in deutsch-nationalen Zeiten gerne vorgestellt hat, erklärte Pohl. Im ungarischen Fundort waren es zwei und in Italien drei Familiengruppen, die sich nicht nur genetisch, sondern auch kulturell stark unterschieden.

Die beiden Gräberfelder in Szolad und Collegno bezeugen die Wanderung der Langobarden im Jahr 568 von Pannonien nach Italien.
Grafik: Krishna R Veeramah

Im Kernbereich der Gräberfelder lagen sozial hochgestellte Männer in holzverkleideten Ruhestätten mit großzügigen Beigaben wie Waffen und Schildern. Rund um sie waren in ebenso reich ausgestatteten Gräbern die Frauen des selben Klans begraben, auch ihnen hatte man Schätze wie Broschen und Perlenketten mitgegeben. Diese Männer und Frauen waren ein genetisch abgeschlossener Familienverband, der sich nur wenig mit den anderen mischte, und am ehesten mit den heutigen Nord- und Mitteleuropäern verwandt ist. Dann wiederum gab es Gräber ohne Beigaben, bei denen die DNA in den menschlichen Überresten eher von südeuropäischer Abstammung zeugen. "Es lebten hier also unterschiedliche Gruppen zusammen und bildeten sozusagen Multikulti-Siedlungen", so Pohl.

Frühmittelalterliche Parallelkulturen

Bei der ungarischen Fundstätte deute alles darauf hin, dass Individuen mit nord- bis mitteleuropäischer Herkunft sowie südlichem Erbe trotz ihres unterschiedlichen genetischen und materiellen Hintergrunds gemeinsam nach Szolad immigriert sind, so die Forscher. In Collegno dagegen zeigte sich ein etwas anderes Bild: Dort fanden sich die Nord- und Mitteleuropa-stämmigen Einwanderer mit lokalen Gruppen von vorwiegend italienischem Ursprung zusammen. Sie hielten die genetischen Unterschiede jedoch in beiden Fällen weitgehend aufrecht, mischten sich also zunächst nicht und lebten zusammen, ohne dass sich der eine in die Kultur des anderen "integrierte". (red, APA, 12.9.2018)